»Gesundheit geht uns alle an«

Beschäftigte des Uniklinikums Gießen erfahren bei einer digitalen Stadtversammlung jede Menge Zuspruch. Rund 220 Teilnehmende lauschten den eindrücklichen Schilderungen.
Gießen. Große Unterstützung erfuhren die Beschäftigten des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) bei einer digitalen Stadtversammlung am Montagabend. Rund 220 Teilnehmende lauschten den eindrücklichen Schilderungen. Berichtet wurde aus einem überfordernden und teils bedrückenden Alltag. Beistand erhielten die Frauen und Männer unter anderem von Medizinstudierenden, Gewerkschaften und Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher.
Zum Hintergrund: Die Klinikbeschäftigten fordern für das UKGM einen sogenannten »Tarifvertrag Entlastung«. Dieser umfasst verbindliche Regelungen für eine gute Personalbesetzung, bessere Ausbildungsbedingungen und Beschäftigungssicherung. Mitte Dezember war an Klinikleitung und Politik ein 100-Tage-Ultimatum gestellt worden. 4163 UKGM-Beschäftigte hatten mit ihrer Unterschrift erklärt, dass sie sich für diese Forderungen einsetzen. Sollten diese nicht erfüllt werden, drohe ein Streik.
Für die Initiative zeigte sich Frank-Tilo Becher dankbar. »Gute medizinische Versorgung muss sich am Wohl der Patienten ausrichten«, so der Sozialdemokrat. Dazu gehöre vor allem Zeit, welche die Beschäftigten für ihre Arbeit von Mensch zu Mensch dringend benötigten. Der »Tarifvertrag Entlastung«, der schon am Klinikum in Frankfurt abgeschlossen wurde, zeige die richtigen Lösungswege auf. Becher hofft, dass ein Funke von der Veranstaltung ausgehe, der weit in die Stadtgesellschaft hineinstrahlen möge. Zugleich erwarte er vonseiten der Klinikleitung und des Landes Hessen Antworten auf die dargestellten Probleme.
Als Auszubildende nur noch müde und erschöpft
Den Oberbürgermeister bewegten die Erläuterungen der Klinikmitarbeiter. So erzählte etwa Aliyah Schwicht aus ihrem Alltag als Auszubildende im zweiten Lehrjahr am UKGM: »Ich hatte schon als Kind den Wunsch, Krankenschwester zu werden, um anderen in guten und schweren Zeiten beizustehen, zu helfen und zu begleiten.« Nach zwei Jahren Ausbildung müsse sie allerdings ernüchtert feststellen: »Für die Begleitung der Patienten habe ich überhaupt keine Zeit.« Sie sei nur noch müde und erschöpft. Beispielsweise bei einem Frühdienst, als sie mit zwei weiteren Kolleginnen für 50 Patienten zuständig war. »Ein Herr lag im Sterben und flehte darum, nicht alleine zu bleiben.« Gleichzeitig schrien zwei demenziell erkrankte Patienten um Hilfe, eine Kollegin brauchte Unterstützung bei der Versorgung. »Wohin gehe ich zuerst, was kann ich als Auszubildende tun, kann mir jemand helfen?«, fragte sie resigniert.
Patrick Schön, der im Bereich Medizintechnik in Gießen arbeitet, betonte, dass die Arbeit im Krankenhaus immer Teamarbeit bedeute. »Das betrifft sowohl den pflegerischen als auch unseren Bereich.« Seine Abteilung sei unter anderem für Instandhaltung, Wartung, Reparatur und Dokumentation aller medizinischen Geräte zuständig - »vom Fieberthermometer bis zum MRT«. Durch den Personalnotstand würden gesetzliche Auflagen nicht eingehalten und Geräte stünden nicht mehr für die Patientenversorgung zur Verfügung. »Wir wollen auch in unserem Bereich für den Tarifvertrag kämpfen, weil wir für alle in der Region eine gute medizinische Versorgung sicherstellen wollen!«, sagte er. Auch Moritz Eßlinger, Sprecher der Fachschaft Medizin, stellte sich klar hinter die Belegschaft des Uniklinikums. »Wir kommen als Studierende der Justus-Liebig-Universität ins Krankenhaus, um zu lernen.« Was die angehenden Mediziner aber vorfänden, sei keine Lernumgebung. »Uns schlägt vielmehr eine gewaltige Woge der Verzweiflung und der Erschöpfung entgegen.« Wer wolle in so einem Umfeld nach dem Studium freiwillig als junger Arzt im Krankenhaus arbeiten?
Als »starkes Zeichen der Solidarität« bezeichnete Richard Kunkel, Betriebsseelsorger für Oberhessen im Bistum Mainz, den hohen Zuspruch bei der digitalen Stadtversammlung. »Wir unterstützen Euch in Eurem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Das Thema Gesundheit geht uns alle an.«
Mitmachaktionen geplant
Was ist weiterhin geplant? Die Beschäftigten fassen aktuell die Forderungen aus allen Klinikbereichen zusammen. Am 6. und 7. März sollen diese dann bei einem großen »Klinikratschlag« diskutiert und entschieden werden. Am 7. März ist dazu auch die Öffentlichkeit in die Kongresshalle eingeladen. Auch die Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Hessen sollen dabei sein. Am 31. März, zehn Tage nach Ablauf des Ultimatums, werden die Beschäftigten demonstrieren. Alle Bürgerinnen und Bürger Gießens sind eingeladen, sich daran zu beteiligen und die Klinikbeschäftigten zu unterstützen.
Weiterhin können alle an einer Fotoaktion teilnehmen und ihre Solidarität für die Beschäftigten und ihre Belange zum Ausdruck bringen: https://krankenhausbewegung-ukgm.de/#unterstuetzerinnen.