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Gewalt, Rausch und Gewissen

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Von: Ursula Hahn-Grimm

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Die Clique berauscht sich an der Gewalt und jagt Asylbewerber durch die Straßen. Auch davon erzählt das Stück »Die Kriegerin«. Foto: Christian Schuller © Christian Schuller

Die Premiere des Jugendstücks »Die Kriegerin« um junge Neonazis und den Versuch, aus der Gruppe auszusteigen, überzeugt im Kleinen Haus des Stadttheaters.

Gießen. » Fakt ist, dass Gewalt schön ist, weil wir sie im Blut haben, die Schönheit dessen, wenn du alles zerschlägst, wenn du die Stichflamme siehst, die Leute, die rennen, die Schreie, es ist ein Augenblick, der steigt, steigt, steigt. « Dieses Zitat von Nanni Balestrini ist auf der Website des Stadttheaters Gießen zu seiner aktuellen Produktion »Die Kriegerin« zu finden. Ein Satz, der die aufgeheizten Emotionen rund um die beiden Protagonistinnen treffend beschreibt.

Schon zu Beginn ist eine Szenerie zu sehen, die Angst einjagen kann: Neun vermummte Gestalten drängen in den Raum, nur ihre Augen sind durch die Sehschlitze zu erkennen. Dazu aggressive Musik, grelles Licht. Plötzlich ist es still, stockfinster. »Die Kriegerin« ist ein wütendes Jugendtheaterstück nach dem bekannten, 2011 entstandenen Film von David Wnendt über eine jugendliche Neonazi-Gruppe. Präsentiert wird eine explosive Situation, von Regisseurin Mathilde Lehmann temporeich und konfliktorientiert auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht. Dafür gab es nach 75 Minuten viel verdienten Beifall.

Im Mittelpunkt steht Marisa, 20 Jahre alt, rechtsradikal und überzeugt davon, dass Deutschland den Bach runtergeht. »Verarscht« von allen, das ist ein in der Szene gängiger Ausdruck, Die junge Frau, glaubhaft gespielt von Nina Plagens, hat diese Ansicht von ihrem Großvater (Roman Kurtz) übernommen. Er ist es auch, der ihr den Namen »Kriegerin« gegeben hat, und der die Jugendgruppe gegen Ausländer und Regierung, gegen Juden und die vermeintlichen Eliten aufheizt.

Beeindruckt von den Feiern der Clique mit Alkohol und Zigaretten ist auch die 14-jährge Svenja, wunderbar gespielt von Izabella Radic. Sie will sich der Gruppe anschließen, doch das ist wegen des Mobbings untereinander nicht so einfach. Einige Szenen spielen während der Nazitreffen, andere bei den Mädchen zu Hause. Svenja wird von ihrem Stiefvater misshandelt, Marisa leidet unter der Ablehnung ihrer Mutter. Die beiden jungen Frauen lassen ihren Frust an den anderen aus, vor allem an zwei jungen Asylbewerbern, die in ihrer Stadt einquartiert wurden.

Doch Marisa beginnt schließlich an ihrer rechten Gesinnung zu zweifeln, nachdem sie das Mofa des jungen Asylbewerber Rasul und seines Bruders Jamil angefahren hat und sie das schlechte Gewissen plagt. Das Stück nimmt so die Perspektive der Täterinnen ein, und fragt, ob es möglich ist, dieser Szene wieder zu entkommen. Die Szenen sind mosaikartig zusammengesetzt, dabei wurden auch Zeitsprünge eingearbeitet. So ist dem Geschehen nicht immer leicht zu folgen, zumal vier Schauspieler gleich zwei oder drei Rollen spielen: Roman Kurz, Pascal Thomas, Nils Eric Müller sowie Dascha Ivanova.

Das ist nicht nur für die Schauspieler eine Herausforderung, sondern ebenso für das Publikum. Allerdings: Auch wenn man die Personen nicht immer im Einzelnen zuordnen kann, so ist die gesamte Handlung doch äußerst eingängig. Die Zuschauer sitzen nah am Geschehen rund um eine achteckige Bühne, die mit weißem Langhaarflor überzogen ist. Ein Kontrast zu den Szenen der Gewalt und Übergriffe, die hier stattfinden. Eine kuschelige Umgebung für die Jugendlichen, bei denen es zu Hause nichts Liebevolles gibt.

So entstehen Aggressionen. Zu einem rockigen, oft angriffslustigen Sound sprinten die neun Mitglieder der Gang um die Bühne, kämpfen, drängen sich zur Seite, verfolgen misstrauisch jeden Abweichler. Ein gewagtes Spiel, manche Zuschauer lehnen sich lieber ein Stück auf ihren Sitzen zurück. Doch jeder Sprung, jeder Stoß sitzt, die Gruppe hat alles minutiös einstudiert. Zur Ergänzung sind in drei Ecken hohe Regiestühle platziert, hier sitzen die Autoritäten, Vater, Stiefvater, Kassiererin an der Supermarktkasse.

Intendantin Simone Sterr hat am Stadttheater die Gruppe Junges Theater eingeführt, zu der Izabella Radic und Dascha Ivanova gehören. Ihnen wurde hier eine Reihe von Kollegen zur Seite gestellt. Außerdem sind einige Praktikanten mit von der Partie, die die Gang verstärken: Zeynep Adigüzel, Fardeen Ahmadi, Franziska Neumann, Romy Sukiennik, Lisa Wächter, Lisa-Marie Weinrich und Katja Weiß. Für die jungen Leute ist ihre Zeit beim Theater ein ganz besonderes Erlebnis. So ist die Truppe auf der Bühne bunt zusammengestellt: alt und jung, neu und erfahren. Dies verschafft der Aufführung einen besonderen Reiz.

Dieses Jugendtheaterstück (Bühne und Kostüme: Elena Melissa Stanghöner; Licht: Michel Honold; Maske: Nadine Pahlen, Dramaturgie: Tim Kahn) wendet sich an ein Publikum ab 15 Jahren. Informationen sind bei Theaterpädagogen Sebastian Songin erhältlich. Angesprochen sind vor allem Schulklassen, deshalb sind die weiteren Vorstellungen vor allem an den Vormittagen anberaumt.

Die nächsten Vorstellungen im Kleinen Haus: 14. 20., 28. Februar, 1., 9., 15. März (jeweils 10.30 Uhr). Eine Nachmittagsvorstellung findet am 5. März um 16 Uhr statt.

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