»Gießen muss bei mir vorkommen«

Schriftstellerin und Schauspielerin Adriana Altaras spricht über ihr neues Buch, die geliebte Tante Jele und den Fund der Gießener Synagogen-Fundamente.
Lich. Adriana Altaras, vielbeschäftigte Schauspielerin, Regisseurin und Buchautorin, stellt am morgigen Mittwoch ihr neues Werk «»Besser allein als in schlechter Gesellschaft« im Rahmen der Licher Kulturtage im Kino Traumstern vor. Der Abend ist bereits ausverkauft. Der Anzeiger hat mit der 63-Jährigen, die als Kind aus dem damaligen Jugoslawien nach Gießen kam, vor dem Auftritt über ihre Herkunft, ihre geliebte Tante und die gefundenen Reste der jüdischen Synagoge gesprochen.
Ihr aktuelles Buch kommt ganz frisch aus der Druckerei. Gerade war die Premiere in Berlin. Und gleich die dritte Lesung findet in Lich statt. Hat das einen besonderen Grund?
Lich steht immer ganz oben bei meinen Buchvorstellungen. Das ist mir sehr wichtig, schließlich liegt es quasi neben Gießen. Auch sind die beiden Kinobetreiber Edgar Langer und Hans Gsänger sehr rührig und bewerben sich sehr frühzeitig um Auftritte.
Gießen, der letzte Wohnort Ihrer Eltern, kommt ja auch in jedem Ihrer Bücher vor. Wie stehen Sie zu der Stadt und ihren Menschen?
Ja, Gießen muss in jedem meiner Bücher vorkommen, das gehört einfach dazu. Nach dem Tod meiner Eltern haben mir viele Gießener und die jüdische Gemeinde sehr geholfen, haben viel Verständnis für mich gezeigt, sodass sich meine Sicht auf die Stadt rückblickend zum Guten gewandelt hat. Ich hege Heimatgefühle, auch wenn ich schon lange zu einer Berliner Jüdin geworden bin.
Der Name Altaras hat hier einen besonderen Klang, auch weil durch Ihre Eltern wieder eine jüdische Gemeinde und eine Synagoge ihren Platz in Gießen gefunden haben. Kürzlich wurden die Kellermauern der Synagoge unter der Kongresshalle gefunden.
Über diesen Fund hätten sich meine Eltern sehr gefreut. Um das Erbe zu bewahren, hätten sie sicher alle Hebel in Bewegung gesetzt und sich notfalls auch davorgelegt, um sie vor einem Zuschütten zu bewahren.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Einsamkeit einer alten Frau, ihrer Tante, während der Pandemie 2020, die durch den Lockdown in einer Senioreneinrichtung quasi eingesperrt ist. Sie finden dafür eine ganz besondere Sprache. Was war Ihre Intention?
An dem Buch habe ich schon länger gearbeitet. Meine Intention war es weniger, über die Situation von Menschen während der Pandemie in Altenheimen zu schreiben, als vielmehr über die Thematik des Älterwerdens als solche. Es ist ein Prozess des Abschiednehmens von Personen und Dingen, vom eigenen Kind sein, wenn die ältere Generation stirbt. Jeder kennt diese Problematik, hat ältere Menschen um sich, um die man sich kümmern, deren Erinnerungen man pflegen muss.
So schließt der Roman an Ihr bekanntes erstes Buch »Titos Brille« an ...
Schon in »Titos Brille« habe ich mich damit beschäftigt, wie wir mit den Erinnerungen unserer Eltern umgehen. Was ist von einem Leben und seinen Geschichten erhaltenswert? Eine Frage, mit der sich jeder 50- bis 60-Jährige auseinandersetzen muss. Mit meinen Büchern versuche ich eine, meine Antwort darauf zu finden.
Ihre Bücher sind autobiografisch geprägt. Diesmal ist Ihre 100-jährige Tante Jele die Hauptfigur, die mit eigenen Worten von ihrem Leben erzählt. So plastisch, dass man das Gefühl bekommt, diese Frau gut zu kennen. Doch wie stand sie selbst dazu, eine Romanfigur zu werden?
Sie war das gewohnt, es war in Ordnung für sie. Der Buchtitel »Besser allein als in schlechter Gesellschaft« ist ein Satz von ihr. Nach diesem Motto hat sie auch gelebt.
Sie selbst sind eine vielbeschäftigte Frau. Das Buchprojekt ist abgeschlossen. Wie geht es nun weiter?
Aktuell stehe ich für die vierte Staffel der ARD-Serie »Charité« in Lissabon vor der Kamera. Da spiele ich eine Hauptrolle. Ich habe jetzt nur ein paar freie Tage für meine Lesungen erhalten und freue mich schon auf das Licher Publikum.
Adriana Altaras: »Besser allein als in schlechter Gesellschaft - Meine eigensinnige Tante«. 240 Seiten. Kiepenheuer und Witsch.
Adriana Altaras ist die Tochter ehemaliger jüdischer Partisanen aus dem heutigen Kroatien, mit denen sie nach der Flucht des Vaters 1967 in Gießen zusammenkam. Sie besuchte die Waldorfschule in Marburg und studierte nach dem Abitur Schauspiel in Berlin. In ihrem neuen, offiziell am Donnerstag erscheinenen Buch erzählt sie von ihrer Tante, der schönen Teta Jele. Es ist eine Frau, die 101 Jahre alt wurde, die Spanische Grippe, das KZ und ihre norditalienische Schwiegermutter überlebte. Und Altaras erzählt von ihrer eigenen, Beziehung zu der geliebten Tante. (red)