»Großer Respekt vor real Erlebtem«

Zu Gast beim Literarischen Zentrum Gießen, gibt Schriftsteller David Safier spannende Einblicke in die Gedankenwelt eines Bestseller-Autors.
Gießen. Anlässlich des 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto von 1943 war Bestseller-Autor David Safier der Einladung des Literarischen Zentrum Gießen (LZG) gefolgt, um über sein gefeiertes, bereits 2014 erschienenes Werk »28 Tage lang« zu diskutieren. Es ist eng mit diesem historisch bedeutsamen Ereignis verknüpft. Dabei sprach der Schriftsteller mit den Moderatoren Prof. Sascha Feuchert und Prof. Andrea Löw über die spannenden Recherchearbeiten. Zugleich gab er interessante Einblicke in die Gedankenwelt eines Autors sowie einen Ausblick auf sein im April veröffentlichtes Buch »Solange wir leben«.
Besonders der Arbeitsstelle Holocaustliteratur (AHL) der Justus-Liebig-Universität (JLU) fühle er sich sehr verbunden, sagte Safier zur Begrüßung der zahlreichen Zuhörer im Hermann-Levi-Saal. Kooperationspartner waren zudem das Fritz Bauer Institut Frankfurt, das Kulturamt Gießen und das Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München.
»28 Tage lang« sollte »ein Buch für Leute werden, die normalerweise keine Bücher über den Holocaust lesen«, schilderte Safier seine ersten Überlegungen. Deshalb sei es mit den Mitteln des Spannungs- und Unterhaltungsroman geschrieben worden, auch eine fiktive Hauptprotagonistin gehört dazu. Diese heißt im Buch »Mira« und ist ein 16-jähriges Mädchen, das 1943 in Warschau Lebensmittel schmuggelt, um im Ghetto zu überleben. Als sie erfährt, dass die gesamte Ghetto-Bevölkerung umgebracht werden soll, schließt sich »Mira« dem Widerstand an. Der kann der übermächtigen SS länger trotzen als vermutet. Viel länger - ganze 28 Tage. »Dieser Markt, dieser für die Polen ganz gewöhnliche Markt, auf dem sie ihr Gemüse, ihr Brot, ihren Speck, ihre Kleidung - ja sogar ihre Rosen kauften, war für Menschen wie mich Wildnis. Einer, in der ich als Beute galt. Einer, in der ich sterben konnte, wenn man herausfand, wer, oder besser gesagt, was ich wirklich war«, las der als Drehbuchautor unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem »International Emmy« ausgezeichnete Gast aus dem Beginn seines Romans. Damit sorgte er sofort für eine ungemein dichte Atmosphäre.
»Für jedes Buch stelle ich mir Regeln auf. In ›28 Tage lang‹ galt die dramaturgische Grundregel: Alles, was die fiktive Person erlebt, haben Leute tatsächlich so oder in ähnlicher Form erlebt. Für eine ausgedachte Person entschied ich mich, weil ich zu großen Respekt vor dem real Erlebten habe. Denn wenn ich echte Menschen für mein Buch verwende, kann ich mir nicht anmaßen, fiktional zu überlegen, was diese Menschen gedacht oder empfunden haben,« erklärte Safier auf Nachfrage von Sascha Feuchert, warum es dem Autor so wichtig gewesen sei, eine erdachte Person in eine historisch korrekte Welt einzubauen. Die Recherchen, mit denen der Bremer bereits 1993 begann, wurden schnell zu einer regelrechten »Biografie-Fresserei« und »Herkulesaufgabe«. Doch auch dank des Ringelblum-Archivs, in dem das Warschauer Ghetto durch Fotos, Zeitungen, Plakate und Dokumente »wahnsinnig gut dokumentiert« ist, konnte David Safier eine so glaubhafte Welt im Roman konstruieren.
Das Ringelblum-Archiv ist das einzig bekannte Untergrundarchiv im Warschauer Ghetto und wurde während der deutschen Besatzung Polens unter der Leitung von Emanuel Ringelblum aufgebaut. Es dokumentiert das Leben und Sterben der Juden im Ghetto während der Schoah - und zählt seit 1999 zum Weltdokumentenerbe der Unesco. »Es ist eine wirklich unglaubliche Leistung der Menschen, diese Dokumente unter solchen Umständen zusammenzutragen«, betonte Feuchert, der die AHL leitet und zudem Professor für neuere deutsche Literatur ist. Andrea Löw, stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien, sprach derweil »von einem der erfolgreichsten Akte des jüdischen Widerstands«.
Neben dem Ringelblum-Archiv half dem 56-jährigen Schreibkünstler auch das Werk »The Warsaw Ghetto: A Guide to the Perished City« von Barbara Engelking und Jacek Leociak. »Das lag beim Schreiben immer mit auf dem Schreibtisch.«
Sein neuestes Werk »Solange wir leben« sei wiederum ein sehr persönliches Buch, in dem er das Leben und die Geschichte seiner Eltern erzählt. Dennoch weisen die beiden Romane gewisse Ähnlichkeiten auf. »Im Roman möchte die Hauptprotagonistin irgendwann nicht mehr kämpfen und entscheidet sich für die Liebe - wie mein Vater beziehungsweise meine Eltern auch. Sie haben so viel erlebt wie Romanfiguren. Aber ich brauchte auch Zeit, um mich damit auseinanderzusetzen und bin erst in den vergangenen Jahren gereift, um mich der Sache anzunehmen«, schilderte Safier, für den Schreiben auch immer ein wenig »Telepathie« ist: »Ich habe Emotionen, Gedanken und Bilder in und vor mir. Und die möchte ich senden, damit genau das beim Leser ankommt.« Mission erfüllt!
