1. Startseite
  2. Stadt Gießen

»Haben Übermenschliches geleistet«

Erstellt:

Von: Frank-Oliver Docter

Der Neujahrsempfang des Gießener Uniklinikums (UKGM) und des JLU-Fachbereichs Medizin stand ganz im Zeichen der Auswirkungen der Corona-Pandemie und der laufenden Finanzgespräche.

Gießen . Der nach drei Jahren Corona-Pause wieder einmal ausgerichtete gemeinsame Neujahrsempfang des Universitätsklinikums Gießen-Marburg (UKGM) und des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität (JLU) verlief am späten Donnerstagnachmittag lange Zeit so, wie man es von solchen Veranstaltungen in der Regel erwartet. Eine Rede nach der anderen, deren Inhalte trotz Pandemie, Energiekrise und Krankenhausfinanzierungsproblemen eher auf Harmonie abzielten. Doch als dann als vorletzter Redner Prof. Werner Seeger ans Mikrofon trat, wusste so ziemlich jeder im gut gefüllten großen Hörsaal der Alten Chirurgie, dass der offizielle Teil des Empfangs fortan nicht mehr ganz so harmonisch verlaufen würde. Schließlich ist der stellvertretende Vorsitzende der UKGM-Geschäftsführung und Ärztliche Geschäftsführer am Standort Gießen für seine offenen Worte bekannt.

Kein Rückkauf

Seeger übte scharfe Kritik an der dem UKGM im vergangenen Jahr vom Land Hessen zugeteilten Investitionspauschale. Während das Uniklinikum Frankfurt/Main hier 105 Millionen Euro erhalte, seien es für Gießen und Marburg nur 4,1 Millionen gewesen. Genauso wenig kann er verstehen, dass Frankfurt eine Sonderpauschale für die Behandlung von Covid-Patienten über 48 Millionen Euro bekommt, das UKGM jedoch nicht, »obwohl wir die meisten Covid-Kranken in Hessen versorgt haben«. Auch den Befürwortern eines Rückkaufs zeigte Seeger die rote Karte und erinnerte an die schwierige Zeit, die Fusionierung und Privatisierung vorausgegangen waren. Ohne diese wäre der Standort Gießen »auf ein normales Krankenhaus zurückgeführt worden« und allenfalls noch »Lehrkrankenhaus von Marburg« gewesen, führte er aus.

Für Wissenschaftsministerin Angela Dorn war es danach als letzte Rednerin durch Seegers Ausführungen zuvor gewiss nicht leichter geworden. Zumal von ihr auch Details und möglichst konkrete Entscheidungen zu den laufenden Verhandlungen zwischen Land und Klinikbetreiber Rhön-Klinikum AG über die 800 Millionen Euro Investitionsmittel für beide Standorte erwartet wurden, die verteilt über die kommenden zehn Jahre für Modernisierungen bei Gebäuden und medizinischen Geräten fließen sollen. Diese Erwartungen wurden aber weitgehend enttäuscht. »Wir sehen das Ziel«, ließ die Grünen-Politikerin zumindest wissen. Und zeigte sich »hoffnungsvoll«, dieses Jahr »die letzten Hürden« zu nehmen. Einem Rückkauf des Klinikums erteilte sie eine Absage, zumal es »keinen Kaufinteressenten« gebe.

Von den eigentlichen Hauptdarstellern in den Reden des Neujahrsempfangs, den Ärzten und Pflegekräften auf den Covid-Stationen sowie den Forschenden in den Laboren, dürften an diesem Nachmittag nicht allzu viele anwesend gewesen sein. Doch wurden ihnen wahre Lobeshymnen zuteil. »Dass so viele Menschen so gut durch diese Krise gekommen sind, verdanken wir zuvorderst der Universitätsmedizin«, betonte Angela Dorn. Ihre Worte waren sowohl an die Klinikbeschäftigten »an vorderster Front« gerichtet wie auch die an der Impfstoffentwicklung beteiligten Wissenschaftler. »Sie alle haben Übermenschliches geleistet«, lobte die Ministerin, woraufhin Applaus im Saal aufbrandete.

Der Präsident der JLU, Prof. Joybrato Mukherjee, machte deutlich, dass »der Erfolg der Universitätsmedizin für die Universität existenziell wichtig ist«, und genauso auch für die Stadt Gießen und ganz Mittelhessen. An den Instituten werde »Lungen- und Infektionsforschung auf höchstem Niveau« betrieben. Dieser Wissensstand sei mit ein Grund dafür, so gut auf die Corona-Pandemie vorbereitet gewesen zu sein, stellte er fest. Zugleich würde dem Uniklinikum in der Bevölkerung »viel Vertrauen« entgegengebracht. Auch deshalb forderte Mukherjee, mehr Medizin-Studienplätze zur Verfügung zu stellen, um auf den selbst bei Ärzten herrschenden Fachkräftemangel zu reagieren.

Die Forschungserfolge in der Gießener Medizin schlagen sich auch in den eingeworbenen Drittmitteln nieder. Wie Prof. Wolfgang Weidner, Dekan des Fachbereichs, zu berichten wusste, sind diese Mittel im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts von 20 Millionen auf nunmehr 35 Millionen Euro jährlich angewachsen. Mit dem Exzellenzcluster Kardiopulmonales System, in dem an Herz- und Lungenkrankheiten geforscht wird, verfügt die JLU zudem über die einzige Exzellenzinitiative im Rahmen dieses Bundesprogramms in ganz Hessen. In der Ärzteausbildung kann man auf die Kooperation mit 15 regionalen Lehrkrankenhäusern und 31 Lehrpraxen setzen. Auch deswegen sieht Weidner die hiesige Universitätsmedizin zusammen mit Forschung und High-Tech-Medizin für Patienten »sehr gut aufgestellt«. Dies gelte es, weiter auszubauen. «Alles muss suffizient finanziert sein«, meinte der Dekan in Bezug auf die versprochenen Millionen-Investitionen.

»Wir sind ein Team«

Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden der Rhön-Klinikum AG, Prof. Tobias Kaltenbach, sei man bei den Verhandlungen »auf einem guten Weg«. Die Investitionen würden »dringend benötigt«, da die Klinikstandorte Gießen und Marburg »in die Jahre gekommen sind«. Und das zu einer Zeit, in der »fast 60 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland rote Zahlen schreiben«, was ein »bisher nicht gekanntes Ausmaß« der Unterfinanzierung sei, stellte Kaltenbach fest. Hinzu komme »die Überalterung der Bevölkerung«, die Kliniken künftig noch stärker belaste, blickte er voraus.

Auf dem Personalsektor gehe es darum, »neue Kollegen zu gewinnen«, verdeutlichte der Vorsitzende der UKGM-Geschäftsführung, Dr. Gunther K. Weiß. »Eine gute Patientenversorgung kann nicht mit überlasteten Mitarbeitern gelingen.« So erinnerte er an »viele Krankheitsausfälle« während der vergangenen Corona-Jahre, die dazu führten, dass in Gießen zwischenzeitlich »Leistungen zurückgefahren und Betten geschlossen werden mussten«. Zugleich war es ihm wichtig, auch den Beschäftigten in Reinigung, Küche und Verwaltung zu danken, »ohne die es nicht geht. Wir sind ein Team«, betonte Weiß.

Auch interessant