Häftlingsnummer 11103
Auch Jehovas Zeugen wurden von den Nazis mit Härte verfolgt. Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erinnern Jehovas Zeugen an das Schicksal der Gießenerin Auguste Godglück.
Gießen (red). Auch Jehovas Zeugen wurden bereits ab 1933 von den Nationalsozialisten mit unnachsichtiger Härte verfolgt. Von den circa 25 000 Zeugen Jehovas, die 1933 in Deutschland lebten, sei fast jeder Zweite davon betroffen gewesen. »Insgesamt kamen europaweit rund 1800 zu Tode«, berichtet Deborah Schminke von Jehovas Zeugen Gießen. Anlässlich des heutigen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erinnern sie beispielhaft an das Schicksal der Gießenerin Auguste Godglück.
Auguste Marie Margarete Elisabeth kam am 11. Januar 1890 als Kind von August und Margarete Bock in Gießen zur Welt. Am 4. Juli 1925 heiratete die gelernte Schneiderin im Alter von 35 Jahren Albert Godglück. Das Ehepaar bekam zwei Kinder, wohnte zunächst in Gießen und zog 1937 nach Leihgestern. 1940 mieteten sie ein kleines Häuschen in Krofdorf-Gleiberg.
Jehovas Zeugen seien bereits direkt nach Hitlers Machtergreifung ein Störfaktor für sein nationalsozialistisches Regime gewesen. »Sie lehnten die unmenschliche Ideologie sowie Hasstaten entschieden ab, die in dieser Zeit besonders gegen Juden an der Tagesordnung waren. Darüber hinaus verweigerten sie den ›Hitlergruß‹.«
Brutale Hausdurchsuchungen, Schikanen sowie grausame Verhöre in den Einrichtungen der Gestapo seien für viele alltäglich geworden. Auch gegen Albert Godglück wurde bald ein Verfahren wegen »Vergehens gegen das Heimtückegesetz und wegen Beleidigung des Führers« eingeleitet, das jedoch vorerst eingestellt wurde.
Von Nachbarn angezeigt
Im März 1941 zeigten Nachbarn das Ehepaar Godglück wegen »Abhören und Weiterverbreiten ausländischer Sender, Vergehen gegen die Rundfunkverordnung vom 1. September 1939« an. Albert und Auguste wurden deshalb am 18. März festgenommen und befanden sich bis zum 3. Mai des gleichen Jahres dort in Untersuchungshaft. Doch schon knapp zwei Wochen später wurde Auguste in Gießen erneut festgenommen. »Sie wurde dabei erwischt, wie sie mit anderen Gießenern über ihre christlichen Überzeugungen sprach und Bibeln verteilte.«
Bis zur Hauptverhandlung vor dem Sondergericht in Wetzlar am 10. November 1941,befand sich Auguste im Frauengefängnis Frankfurt/Main-Höchst. Ihr Mann Albert wurde zeitgleich als Verfügungsberechtigter über das Rundfunkgerät zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt und nach Verbüßung der Strafe am 15. September 1942 aus der Haft entlassen. Für das Hören von »Feindsendern« wurde Auguste Godglück zu neun Monaten und für ihr Missionieren zu weiteren sechs Monaten Haft verurteilt. Das Gericht fällte schließlich das Urteil über eine Gesamtstrafe von einem Jahr Gefängnis.
Anders als ihr Mann wurde sie nach Verbüßung der Strafe jedoch nicht entlassen, sondern der Gestapo Gießen übergeben. Aufgrund der verhängten Schutzhaft wurde Auguste Godglück im Mai 1942 in das Konzentrationslager Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel deportiert und am 23. Mai dort registriert. Sie erhielt die Häftlingsnummer 11103 und wurde der Kategorie »IBV« (»Internationale Bibelforscher Vereinigung«, wie Jehovas Zeugen früher genannt wurden) zugeordnet. Auguste hätte die Möglichkeit gehabt, mit einer Unterschrift ihrem Glauben abzuschwören und so aus der Gefangenschaft freizukommen. Auf der Rückseite des letzten Briefes, den ihre Tochter Marga aus dem Konzentrationslager Ravensbrück erhielt, hieß es vonseiten des Lagerkommandanten: »Die Schutzhaftgefangene ist nach wie vor hartnäckige Bibelforscherin und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen. Aus diesem Grunde ist ihr lediglich die Erleichterung, den sonst zulässigen Briefwechsel zu pflegen, genommen worden.«
Auguste sei unbeugsam geblieben und habe an ihren Idealen und Prinzipien festgehalten, bis das Konzentrationslager Ravensbrück am 30. April 1945 von der roten Armee befreit wurde. Nach insgesamt fast viereinhalb Jahren Haft kehrte sie im Juni 1945 nach Gießen zurück. Dort lebte sie mit ihrem Mann Albert in der Posener Straße 13: »Doch die Folgen der jahrelangen Zwangsarbeit unter menschenunwürdigen Zuständen, grausamer Folter und Misshandlungen waren nicht spurlos an ihr vorbeigegangen: Sie starb nach nur drei Jahren in Freiheit am 13. Oktober 1948 im Alter von 58 Jahren. Ihr Mann Albert folgte ihr nur drei Wochen später, am 6. November 1948, in den Tod.«
Folter und Misshandlungen
»Die Geschichte von Albert und Auguste Godglück ist nur eine von vielen noch unbekannten Geschichten von einfachen Menschen, die sich keiner menschenverachtenden Diktatur beugten. Der heutige internationale NS-Opfer Gedenktag bietet die Möglichkeit, die Erinnerung an diese Menschen aufrechtzuerhalten«, heißt es weiter in der Pressemitteilung. Es sei ein wichtiges Gedenken, da Antisemitismus sowie Hass und Diskriminierung gegen religiöse Minderheiten leider nicht mit dem NS-Regime untergingen. In der DDR sowie in der gesamten Sowjetunion wurden Jehovas Zeugen auch nach 1945 weiterverfolgt. Tatsächlich sind sie seit 2017 in Russland wieder verboten; 98 würden derzeit dort aufgrund ihrer Religionsausübung Haftstrafen absitzen.
Deborah Schminke erklärt: »Auch in unserem unmittelbaren europäischen Umfeld gibt es leider wieder diskriminierende Strömungen, die gegen Jehovas Zeugen vorgehen. Der heutige Gedenktag stellt ein besonderes Mahnmal gegen diese Art religiöser Intoleranz dar und sollte jeden an die Inschrift des Monuments der KZ-Gedenkstätte Dachau erinnern: ›Nie wieder!‹«