Haltung zeigen im »Informationskrieg«

Gießen (red). Auf die Bedrohung und Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten wollen Studierende der Justus-Liebig-Universität (JLU) aufmerksam machen. Deshalb haben die jungen Leute im Jahr 2008 die Initiative »Gefangenes Wort« gegründet, die sich längst zu einem Verein weiterentwickelt hat. Um noch intensiver auf Einzelschicksale hinzuweisen, kooperiert der Anzeiger mit dem Verein und stellt jeweils zu Beginn des Monats einen Fall auf der Hochschulseite vor.
Heute berichtet Lena Frewer über die aktuelle Situation von unabhängigen Medien und der Friedensbewegung in Russland:
In Kriegszeiten ist der Zugang zu unabhängigen Informationen wichtiger denn je und gleichzeitig in hohem Maße bedroht. Dies hat auch Internationale Tag der Pressefreiheit am 3. Mai verdeutlicht, der in diesem Jahr besonders im Zeichen des Kriegsgeschehens stand. An diesem Tag veröffentlicht »Reporter ohne Grenzen« die weltweite Rangliste der Pressefreiheit.
Der viel zitierte »Informationskrieg« Russlands äußert sich auch hier, in der Rangliste ist das Land von Platz 150 aus dem Vorjahr nun auf die 155. Position gefallen. Diese Verschlechterung passierte dabei keinesfalls in der Nacht auf den 24. Februar, als der Überfall auf die Ukraine begann. Schon seit Oktober stehen jegliche Berichte über militärische Verluste oder die allgemeine Verfassung russischer Truppen unter Geheimhaltung. Wer sich widersetzt, kommt auf die Liste der »ausländischen Agentinnen und Agenten«. Unmittelbar nach dem 24. Februar hat die russische Medienaufsicht Roskomnadsor verboten, in Berichterstattungen die Begriffe »Invasion«, »Angriff« oder »Krieg« zu verwenden. Medien, die der offiziellen Lesart nicht folgen, werden mit hohen Geldstrafen und Zensur bedroht. Davon waren bereits bis Ende Februar sechs Online-Medien, darunter ein Ableger von »Radio Free Europe« mit Sitz auf der Krim sowie die Nachrichtenagentur »Interfax-Ukraine«, betroffen.
Die Aufsichtsbehörde forderte bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn Google und Meta, zu denen zentrale soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder WhatsApp gehören, unter Strafandrohung auf, jegliche Meldungen und Hinweise zu hohen Opferzahlen in der Ukraine zu löschen. Die endgültige Sperrung und Einstufung als »extremistisch« folgte am 21. März. Was in der Berichterstattung zum »Informationskrieg« oft vergessen wird: In Russland ist es nicht erst seit dem 24. Februar nahezu unmöglich geworden, sich unabhängig und selbstbestimmt im Internet zu informieren, Websites können längst ohne Gerichtsbeschluss gesperrt werden. Für den Großteil der russischen Bevölkerung bleibt das Staatsfernsehen der einzige Zugang zu aktuellen politischen Hintergründen.
Inmitten dieser Repressionen halten die Proteste der Friedensbewegung an, auch wenn inzwischen aus Angst vor Verhaftungen nicht mehr so viele Menschen auf der Straße sichtbar sind. Neben großen Demonstrationen sucht die russische Zivilbevölkerung, die sich gegen den Krieg stellt, weiterhin nach Wegen, um zu informieren und Haltung zu zeigen - und findet sie: In öffentlichen Google-Bewertungen von Restaurants schreiben sie über aktuelle Entwicklungen des Krieges und Hilfsangebote für Menschen in der Ukraine. Trotz Repressionen, Bedrohungen und Lebensgefahr zeigen viele Russ*innen ihre Solidarität auf unterschiedliche Weise und kämpfen gegen Desinformation an. So auch Aleksandra Skochilenko. Die Künstlerin verlieh ihrem Protest gegen den Krieg Ausdruck, indem sie in einem Supermarkt in St. Petersburg Preisschilder durch Parolen der Friedensbewegung ersetzte. Am 11. April, wenige Tage nach der Schließung des Moskauer Büros von Amnesty International, wurde Skochilenko festgenommen, der Vorwurf: »Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte«. In der Untersuchungshaft wird ihr Spezialnahrung vorenthalten, auf die sie aufgrund einer Erkrankung angewiesen ist.
Das Schicksal Aleksandra Skochilenko zeigt: Der Protest gegen den Krieg findet dieser Tage häufig auf kleinen Zetteln an Zäunen, Laternen, Supermärkten statt und damit mitten im Alltag der Menschen in Russland. Haltung zeigen sie dort, wo sie jeden Tag vorbeikommen, leben und arbeiten. Und riskieren dabei viel.