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»Heiterkeit« ist weiter fröhlich

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Vereinsgeschichte in dicken Aktenordnern: Monika Becker und Horst Schmidt blättern in alten Unterlagen. Foto: Jung © Jung

Ende der Geschichte nach 144 Jahren: Der Gießener Gesangverein MGV »Heiterkeit« ist offiziell aufgelöst. Die Mitglieder aber haben ihre Heiterkeit nicht verloren.

Gießen. Ende 2022 verabschiedete sich ein weiterer Gießener Gesangverein aus der Interessengemeinschaft der Gießener Gesang- und Musikverein. Der Grund: Nachwuchsmangel und kein Chorleiter. 144 Jahre existierte der Männergesangverein »Heiterkeit« Gießen, ein Verein, der weit über die Grenzen der Stadt bekannt war. Bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im vergangenen Mai beschlossen die 13 Anwesenden das Ende der »Heiterkeit«. Das war der zunächst formale notwendige Akt zur endgültigen Auflösung, die sich schon länger abzeichnete.

Auf dem Registerblatt VR 1068 beim Amtsgericht ist das Ende nüchtern vermerkt: »Der Verein ist aufgelöst und erloschen«, und mit dem Datum 21.7.2022 amtlich besiegelt. 1271,03 Euro befanden sich noch in der Vereinskasse. Der Betrag, der zunächst an die Stadt überwiesen wurde, ist gemäß der Satzung von dort an eine soziale Einrichtung weiterzugeben.

Erwähnung fand der bekannte Männerchor in früheren Zeiten auch im Nachbarland Österreich, wie die Chronik beweist. Auf den Männergesangverein 1878 sei Verlass, erwähnte einst der damalige Vorsitzende Manfred Luschtinez und zitierte aus der österreichischen Sängerzeitung. »Wir danken der Heiterkeit für Ihren Besuch, solche Besucher haben wir gerne«. Zu den vielen schönen Erinnerungen der Heiterkeit zählt auch die Konzertreise nach Berlin. Dort hielten sich die Sänger vier Tage auf Einladung vom MGV »Liederhort Spandau«, der 1976 auf Gegenbesuch in Gießen weilte, auf. Es blieb nicht bei dem einmaligen Besuch in der heutigen Bundeshauptstadt. Auch 1985 startete ein Bus aus Gießen in Richtung Berlin. Gleich bei der Abfahrt gab es ein Problem, denn ein Sänger hatte verschlafen. Sangesbruder Horst Schmidt, der den Bus steuerte, schaffte es aber, die einstündige Verspätung aufzuholen. Damals war ihm sicher nicht bewusst, dass er nicht nur am Steuer eines Busses die Heiterkeit lenken, sondern sie auch bis zu ihrer Auflösung als Vorsitzender über 23 Jahre führen wird: Schmidt übernahm 1999 das Amt des ersten Vorsitzenden.

Kameradschaftliches Kränzchen

Als »kameradschaftliches Kränzchen« schloss sich 1878 eine Anzahl junger Leute der städtischen Freiwilligen Feuerwehr zusammen, um das gesellige Leben innerhalb ihres Verbandes zu fördern. Weil der Verbandsvorstand keine Sondergruppierungen duldete, beschlossen die Beteiligten, ihre Ziele in einem selbstständigen Verein zu verwirklichen und gaben ihm den Namen in »Heiterkeit«. Sangesfrohe Mitglieder konstituierten sich zu einer Gesangsabteilung, um singend das Vergnügungsprogramm des Vereins zu bereichern. Erster Dirigent war von 1879 bis 1884 Julius Buch. Das 50. Bestehen feierte der Verein in der Gießener Volkshalle. 1977 erfolgte der Eintrag des Vereins beim Amtsgericht Gießen unter dem Namen MGV Heiterkeit 1878 Gießen e. V. 1964 fanden sich Aktive des Männerchores zusammen und gründeten die Bänkelsänger. Sie existierten 24 Jahre und waren in Gießen und Umgebung gut bekannt. Sie setzten sich immer wieder mit ihrer ansprechenden Mischung aus Gesang, Parodie und Schau bestens in Szene. Karl-Heinz Vollmöller rief die Gruppe ins Leben; die Texte und Parodien stammten fast ausschließlich aus seiner Feder. Herausragende Ereignisse der singenden Männertruppe waren zwei Konzertreisen in die USA.

1984 bekam der MGV Zuwachs durch einen Frauenchor. Bei einigen Männern stieß die Idee, auch Frauen in ihre Reihen aufzunehmen, auf heftigen Widerspruch, war doch die Heiterkeit seit 1878 ein reiner Männerchor und bis zu diesem Zeitpunkt im Stadtkern auch der einzige reine Männerchor. Die Satzung musste geändert werden und so hieß es fortan, »der MGV Heiterkeit Gießen besteht aus einem Männer- und einem Frauenchor. Beide Chöre sind selbstständig und unabhängig voneinander«. Mehr als 100 Personen fuhren 1987 nach Holland, um an verschiedenen Orten aufzutreten. Bei »Räubers Mannenchor« gastierten die Gießener drei Tage lang.

Eine eigene Schallplatte nahm der Chor zum 100. Geburtstag auf. Als besonderes Erlebnis in die Vereinsgeschichte ging auch der Besuch der Deutschen Welle, dem Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland in Köln, ein. Die Liedvorträge der Heiterkeit Sänger wurden von dort ausgestrahlt.

Im 110. Jahr des Bestehens feierte der Verein ein großes Jubiläumskonzert in der Uni Aula der Justus Liebig-Universität. Dort wirkten die drei Chöre der Heiterkeit - Männerchor, Frauenchor, und Bänkelsänger - mit. Die Gesamtleitung des Konzertes hatte Berthold Bernhardt. 30 Jahre führte er den Dirigentenstab, zunächst beim Männerchor, später übernahm er den Frauenchor und 1987 auch die Bänkelsänger. Wegen einer schweren Krankheit musste er die musikalische Leitung abgeben und sein Tod im Jahr 2014 bedeutete einen großen Einschnitt bei der »Heiterkeit«.

Den letzten offiziellen Auftritt des Chores bei der Landesgartenschau erlebte er nicht mehr.

Bänkelsänger und Frauenchor

Für den Verein wurde es zunehmend schwierig, sein eigentlicher Vereinszweck geriet ins Wanken. Aus den Mitgliedsbeiträgen könne ein neuer Chorleiter nicht mehr bezahlt werden, bedauerte damals Horst Schmidt. Der offizielle Singbetrieb kam zum Erliegen, die rund 60 Mitglieder trafen sich nur noch zu geselligen Veranstaltungen. Im kleinen Kreis feierte der Chor das 140. Stiftungsfest, gesungen wurde dennoch bei allen Gelegenheiten und Treffen. Die Corona-Zeit hinterließ ihre Spuren und die Schar derer, die zu den Treffen kamen, sank.

Doch jetzt, nachdem Zusammenkünfte wieder erlaubt sind und obwohl es die »Heiterkeit« als offiziellen Verein nicht mehr gibt, will man wieder zusammen kommen, fröhlich sein und in alten Erinnerungen an die schönen »Heiterkeit-Jahre« schwelgen, kündigten Horst Schmidt und die ehemalige Schriftführerin Monika Becker an. Auf dem Gelände der Bahn-Landwirtschaft in Kleinlinden kann dazu das Vereinsheim genutzt werden.

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