»Heute wird gefeiert«

Jahrelang hatte die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel aus Gießen gegen den Abtreibunsgparagrafen 219a gekämpft. Im Bundestag erlebte sie nun selbst mit, wie er abgeschafft wurde.
Gießen. Ihren Sieg nach langem und auch kräftezehrenden Kampf verfolgte Kristina Hänel direkt am Ort des Geschehens. Auf der Besuchertribüne des Deutschen Bundestages erlebte sie gemeinsam mit anderen angezeigten und verurteilten Ärzten, wie am Freitag der §219a StGB abgeschafft wurde, mit dem immer wieder Abtreibungsärzte verklagt worden waren, die über die Methoden des Eingriffs informiert hatten. Auf der Rückfahrt nach Gießen sprachen wir mit der Frau, die wie keine andere zum Gesicht des Widerstands gegen den Paragrafen geworden ist.
Empfinden Sie Genugtuung über diese Entscheidung, nachdem Sie jahrelang juristisch angegangen wurden und auch mit »Mahnwachen« vor Ihrer Praxis konfrontiert waren?
Ich empfinde Freude und Erleichterung darüber, dass der Weg jetzt frei ist und wir Ärzte alle richtig informieren können; dass Frauen jetzt an die Informationen kommen und das dieser ganze Unsinn endlich aufhört. Das Wort Genugtuung finde ich da eher unpassend. Das klingt so nach Rechthaberei.
Der frühere Richter und heutige Kolumnist Thomas Fischer hat den Streit um den §219a einen Kampf um fast nichts und eine zur Grundsatzfrage aufgeblasene Nebensache genannt, angesichts des Großkonflikts um die Abtreibung in den USA. Hat er Recht?
Thomas Fischer hat sich schon immer despektierlich über Frauenthemen geäußert. Man kann versuchen, diese Diskussion abzuwerten. Aber nach meine Ansicht sind wir mit der Diskussion einen riesigen Schritte zur rechtlichen Gleichstellung und auch Gleichwertigkeit von Frauen gegangen. Er ist da nur noch eine von ganz wenigen Stimmen, die da dagegenschießen. Wenn ich mir alleine anschaue, was ich heute in der kurzen Zeit seit dem Bundestagsbeschluss an Zustimmung bekomme, dann sehe ich, dass im Moment in ganz Deutschland gefeiert wird. Die große Mehrheit der Bevölkerung weiß, wie absurd dieses Gesetz war.
Die CDU hat heute kritisiert, dass durch die Streichung des §219a suggeriert werde, dass Abtreibung »eine ganz normale ärztliche Behandlung« sei. Ist sie das denn?
Das wird von konservativer Seite gerne vermischt. Wenn ich möchte, dass die Frauen medizinisch korrekt behandelt werden, rede ich doch nicht die ganze Ambivalenz der Entscheidung für eine Abtreibung - sowohl gesellschaftlich als auch individuell - herunter. Dieser Denkfehler führt dann zu einem grundsätzlichen Verbot und das ist grundlegend falsch. Soll ich denn als Ärztin eine schlechte Ärztin sein, wenn es um eine ungewollte Schwangerschaft geht? Diese Verknüpfung von Moral und Medizin ist einfach falsch.
Künftig soll aber immer noch »anstößige« und »unangemessene« Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verboten bleiben. Was für ein Frauen- und Ärztebild haben da unsere Gesetzgeber?
Das sollte man in der Tat hinterfragen, zumal werbende Anpreisung der eigenen Dienstleistungen schon immer verboten war. Das noch einmal zu betonen war unnötig, aber damit kann ich leben.
Der historischen Kompromiss des §218 hat in den 1970er Jahren einen gesellschaftlichen Großkonflikt befriedet. Viele Aktivistinnen und Politikerrinnen fordern jetzt auch dessen Streichung. Ist das sinnvoll oder würde das denn gesellschaftlichen Frieden gefährden?
Ich glaube nicht, dass dieser gesellschaftlichen Konflikt befriedet war, und ich glaube auch nicht, dass er jemals befriedet werden kann. Diese Debatte wird immer schwierig bleiben, sowohl politisch als auch persönlich. Damals war ja die Mehrheit des Bundestags für eine Fristenlösung gewesen. Dann ist durch das Bundesverfassungsgericht - mit Minderheitenvotum - dieser von der Gesellschaft getragene Standpunkt wieder abgeschafft worden. Das war keine Befriedung, sondern ein Abwürgen der Diskussion.
Sind sie persönlich für eine Fristenlösung?
Ich selbst habe da kein Priorisierung, aber ich denke schon, dass das Strafgesetzbuch keine Lösung bietet.
Wir erleben gerade in Ländern wie Polen und den USA einen Rückschritt in Sachen Frauenrechte. Dort wird gerade das Rad der Geschichte zurückgedreht. Befürchten Sie, das es auch bei uns einmal zu solch einer Entwicklung kommen kann?
Wir haben doch eine weltweite Liberalisierung, ob man nach Afrika schaut oder nach Südamerika, selbst im erzkatholischen Irland. Und wir haben da auch zwei Länder, in denen die Entwicklung derzeit gegenläufig ist. Natürlich gibt es auch aktive fundamentalistische Kräfte auf der ganzen Welt, die versuchen, das Rad zurückzudrehen, aber am Ende geht die Geschichte doch immer vorwärts.
Abtreibungsbefürworter belagern in den USA seit Tagen die Privathäuser konservativer Bundesrichter, um diese unter Druck zu setzen. Ist das gerechtfertigt oder letztlich kontraproduktiv?
Das Belagern von Privathäusern ist kein Mittel der Auseinandersetzung in der Demokratie, egal ob es Abtreibungsgegner oder -befürworter benutzen. Solche Methoden sind immer abzulehnen.
Gießen (ib). Der heimische Bundestagsabgeordnete Felix Döring (SPD) freut sich in einer ersten Stellungnahme über die Streichung des §219a StGB und die Aufhebung der deswegen ergangenen Urteile. »Das war überfällig.« Der heutigen Entscheidung müssten weitere folgen. Dazu zähle, die Versorgungslage von Praxen, die Abbrüche durchführen, bundesweit zu verbessern. Zudem sollten Abtreibungen Teil der medizinischen Ausbildung werden. Mit Blick auf den §218 ergänzt Döring: »Diesen Paragrafen werden wir uns ebenfalls noch einmal ganz genau angucken. Weil ich nicht finde, dass Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht geregelt sein sollten.«