Hier wehen Fahnen der Freundschaft

Beim Neujahrsempfang der Gießener Partnerschaftsvereine standen Zusammenhalt und Freundschaft im Mittelpunkt. Dabei sollten »europäische Werte nicht vergessen« werden, mahnte Uwe Becker.
Gießen. »Union fait la force - Einigkeit macht stark«: Unter diesem Motto hatten die Partnerschaftsvereine der Stadt Gießen zu ihrem Neujahrsempfang eingeladen. Die Resonanz war so groß, dass die Räumlichkeiten in der Jüdischen Gemeinde kaum ausreichten, um allen Gästen Platz zu geben.
Knapp ein Jahr nach dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine lag der Fokus auf der Solidarität mit dem ukrainischen Volk. »Sie halten hier in Gießen die Fahnen der Freundschaft hoch und Sie machen das vorbildlich«, sagte Uwe Becker, Antisemitismusbeauftragter der hessischen Landesregierung, und verwies auf die großen Anstrengungen in Bezug auf die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, der größten im ganzen Bundesland. Er versprach, dass Hessen auch weiterhin an der Seite der Ukraine stehen werde. Zudem erinnerte er daran, dass vieles, was vor dem 24. Februar 2022 noch als selbstverständlich empfunden worden sei, immer mehr in Frage gestellt werde.
Weiterhin ging Becker auch auf den Brexit ein, der seitens der Europäer bürokratisch formell abgearbeitet worden sei. Man habe sich aber wenig Gedanken darüber gemacht, wie dieser Austritt vielleicht hätte verhindert werden können. »Wir sind an dem Abend vorher ins Bett gegangen mit der Hoffnung, dass alles so bleiben wird - und sind erstaunt aufgewacht.« Daher hoffe er sehr, dass die Briten eines Tages wieder zurückkehren in die europäische Gemeinschaft. Allerdings, das musste er zugeben, wehe der antieuropäische Geist auch in anderen Ländern. »Der Geist einer internationalen Gemeinschaft wird durch solche Partnerschaften getragen, in denen sich Menschen begegnen, um kulturelles Verständnis füreinander zu bekommen.« Daher sei die Arbeit dieser Partnerschaftsvereine so ungemein wichtig: »Wir brauchen solche Anknüpfungspunkte, denn das Europa der Zukunft ist noch nicht ganz wach - es befindet sich in einer Art Dämmerschlaf.«
Weiterhin rief Becker dazu auf, die europäischen Werte nicht zu vergessen, und zeigte sich zuversichtlich, dass Europa gestärkt aus diesem Krieg hervorgehe. Dieses Zeitfenster müsse für die Integration der Ukraine in die europäische Gemeinschaft genutzt werden. »Wir müssen den Menschen die notwendigen Instrumente für den Frieden geben«, sagte er im Hinblick auf die Diskussionen zu den Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet.
Vadym Kostiuk, ukrainischer Generalkonsul aus Frankfurt, bedankte sich in seinem Grußwort explizit bei Becker für seine Unterstützung und bei allen westlichen Partnern. Seinen besonderen Dank richtete er an alle Mitbürger, die Geflüchtete so großzügig unterstützen würden. »2022 war ein sehr schweres Jahr für die Ukraine und wir tun alles dafür, dass wir in der Ukraine besser leben können.«
Stadträtin Astrid Eibelshäuser berichtete von den Plänen, mit einer ukrainischen Stadt eine Partnerschaft einzugehen. Insgesamt bestehen sieben Städtepartnerschaften in Gießen, wovon die Beziehung zu Winchester die älteste ist. Sie wurde 1962 geschlossen. Eibelshäuser bedankte sich bei dem Ausrichter des Empfangs, der Deutsch-Englischen Gesellschaft, und bei der Jüdischen Gemeinde, die ihre Räume zur Verfügung gestellt habe. Ein Fakt, der heute als selbstverständlich angesehen werde, es aber nicht immer war. Für einen würdigen Abschluss sorgte die ukrainische Sängerin Anastasia Marfenko mit dem Gitarristen Arthur Bondaler, die mit melancholischen und rockigen Tönen den offiziellen Teil der Veranstaltung abrundete.
Zum Schluss bekam das Treffen dann noch ein wenig royalen Glanz: Das Gießener Prinzenpaar Maurice I. und Yulia I. erschien samt Garde und gewährte dem illustren Publikum noch eine närrische Audienz. Auch die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien wurden darüber hinaus nicht vergessen, für sie wurden Spenden gesammelt.
Die Organisation lag - wie in den Jahren zuvor - in den Händen der Deutsch-Englischen Gesellschaft und ihrem Präsidenten Lawrence de Donges Amiss-Amiss, der ebenso geschickt wie charmant durch das Programm führte.