Hilfe für schuppige Patienten

Ihre Patienten sind stumm und alles andere als flauschig: Christine Lange aus Gießen-Kleinlinden ist als Tierärztin für Fische in fast ganz Deutschland unterwegs
Gießen . Vorsichtig streicht Christine Lange mit dem Objektträger über die schuppige Haut ihres Patienten. Der treibt ruhig im Wasser, das Narkosemittel, das Lange in die Plastikwanne gestreut hat, wirkt. Die 38-Jährige ist Tierärztin und hat sich auf Fische spezialisiert. Ihre Praxis hat sie in Kleinlinden, doch weil es bundesweit nur 28 Fachtierärzte für Fische gibt, ist sie fast in ganz Deutschland unterwegs. An diesem Vormittag ist sie im Kreis Limburg-Weilburg im Einsatz.
Hier hat sich Ralf Friedrich einen Herzenswunsch erfüllt: Im Gartenteich schwimmen 16 Koi umher, weitere elf leben in einer sogenannten Innenhälterung. Darin hält Friedrich kleinere Exemplare, die er selbst großzieht. Darunter auch die beiden heutigen Patienten von Christine Lange.
Doch bevor die Veterinärmedizinerin den ersten Karpfen aus seinem Zuhause holen kann, füllt sie erst einmal eine große blaue Plastikwanne mit Wasser aus der Innenhälterung. Anschließend geht es mit einem Kescher ans Einfangen des etwa fünf Kilogramm schweren Tieres.
Operation gut überstanden
Lange ist zur Nachkontrolle gekommen, denn der Koi mit der kräftigen orangenen Farbe hat sich einige Wochen zuvor verletzt, woraufhin die Veterinärmedizinerin einen Hautlappen abtrennen musste. »Das sieht gut aus, es ist schön verheilt.« Außerdem nimmt sie Proben - sowohl aus den Kiemen, als auch von der Haut. Mit ihrem mitgebrachten Mikroskop kann Lange sie gleich neben dem Becken untersuchen.
Seit sechs Jahren kümmert sich die gebürtige Ludwigshafenerin um den Koi-Bestand von Ralf Friedrich, der die Zuchtform des Karpfens bereits seit 30 Jahren hält. Sein größtes Exemplar ist fast einen Meter lang und wiegt über 20 Kilogramm. »Ich bin völlig Koi-kichi, verrückt nach Koi«, sagt er und lacht.
»Koi sind relativ empfindlich, weil sie hochgezüchtete Tiere sind«, weiß der Liebhaber. Je nach Blutlinie gebe es beispielsweise eine höhere Anfälligkeit für Tumore. »Bei guter Haltung passiert selten etwas.« Friedrich lässt Tiere und Teich daher nicht nur durch die Veterinärmedizinerin seines Vertrauens kontrollieren, sondern testet die Wasserqualität auch regelmäßig selbst.
Als Fachtierärztin für Fische ist Christine Lange viel auf Achse. Zwar passiere es auch mal, dass jemand mit dem kränkelnden Goldfisch der Tochter bei ihr in Kleinlinden auf der Matte stehe, meistens macht sie aber Hausbesuche. »Es ist immer besser, wenn man rausfährt und sich die Situation vor Ort anschauen kann, denn viele Probleme entstehen durch Haltungsfehler. Fische werden selten einfach so krank.«
Wie rar gesät Fischärzte sind, wird nicht nur deutlich, wenn Christine Lange von ihren letzten Touren berichtet: Gerade erst war sie für einen Tierärztekongress in Leipzig, den Aufenthalt dort hat sie mit Hausbesuchen in Ostdeutschland verbunden. In Online-Foren für Koi-Liebhaber suchen manche Halter händeringend nach einem Tierarzt - und werden dann mitunter erst Hunderte Kilometer entfernt fündig. Kein Job für Menschen, die nicht gerne Auto fahren.
Zwischen März und Oktober hat Christine Lange besonders viel zu tun. Im Winter, wenn viele Teiche abgedeckt werden, geht es ruhiger zu. Der Schwerpunkt liegt dann eher auf Aquaristik. Seit neun Jahren betreut sie obendrein den Bestand eines Zierfischgroßhandels in Dietzenbach, zweimal pro Woche ist sie vor Ort.
»Die Fische kommen wöchentlich aus aller Welt an. Häufige Kontrollen sind da besonders wichtig.« Tote Fische obduziert die Tierärztin vor Ort, um der Todesursache auf die Spur zu kommen. »Die Fische sehen alle unterschiedlich aus. Ihre Anatomie ist sehr spannend.« Da die Tiere außerdem aus den verschiedensten Lebensräumen stammen, können sie dementsprechend auch in Ernährung, Funktion der Organe und Anpassung an ihre Lebensräume sehr spezialisiert sein. Bei manchen Fischen, die im Großhandel aus aller Welt eintrudeln, staunt ab und an sogar die erfahrene Tierärztin: »Da ist manchmal etwas dabei, das man vorher noch nie in echt gesehen hat. In den Teichen gibt es wenig Überraschungen, dort sind es die gängigen Arten.«
Die 38-Jährige, die es für ihr Studium nach Gießen verschlagen hat, war schon als Kind tierbegeistert. Als 14-Jährige bekam sie ihr erstes Aquarium und »dann beschäftigt man sich zwangsläufig auch mit Krankheiten«. Nach ihrem Studium war Lange vier Jahre wissenschaftliche Hilfskraft in der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische der Justus-Liebig-Universität, ehe sie Praxisassistentin einer Fachtierärztin für Fische in Baden-Württemberg wurde. Im Januar diesen Jahres hat sie sich mit ihrer eigenen Praxis selbstständig gemacht.
»Kranke Fische sehen alle sehr ähnlich aus, aber die Ursachen können ganz unterschiedlich sein.« Stimmt etwas mit dem Wasser nicht? Gibt es einen Parasitenbefall? Wurden bei der Vergesellschaftung Fehler gemacht? Das Carp Edema-Virus etwa kann in einem Koi-Bestand für große Verluste sorgen. Weil erkrankte Fische lethargisch wirken und bewegungslos auf dem Boden liegen, wird es auch »Schlafkrankheit« genannt.
Herpesvirus kann Bestand gefährden
Auch das Koi-Herpesvirus kann zu vielen toten Tieren führen, ist nicht behandelbar und zudem anzeigepflichtig. Wer die Koi-Haltung seriös betreibe, müsse seine Tiere auf das Virus testen und Neuankömmlinge in Quarantäne halten, so Lange. Im Handel führe ein Nachweis des Herpesvirus zur Tötung der Fische.
Zurück zu den Koi von Ralf Friedrich. Während Karpfen Nummer 1 bereits wieder munter im Becken schwimmt - das Narkosemittel wird im sauberen Wasser schnell aus den Kiemen gespült - begutachtet Christine Lange die Haut des zweiten Patienten. Leichte rote Flecken hat Friedrich hier entdeckt, diese könnten ein Anzeichen für einen Parasitenbefall sein - aber auch lediglich Folge eines kleinen Zusammenstoßes etwa mit Zubehör im Becken. Die Untersuchung unter dem Mikroskop gibt Entwarnung: Alles in Ordnung. Koi-Halter Friedrich ist erleichtert: »Das ist das, was ich mir jedes Mal erhoffe. Deshalb lasse ich engmaschig kontrollieren.«
Namen gibt Friedrich übrigens nur den Fischen, mit denen er eine besondere Geschichte verbindet. Ein Koi habe sich beispielsweise stark verletzt, »es sah schlecht aus«. Christine Lange kümmerte sich um den Patienten, der sich entgegen aller Erwartungen wieder erholte und heute munter seine Runden im Außenteich dreht. »Ohne sie wäre der Koi gestorben«, ist Friedrich überzeugt - und hat den Karpfen daraufhin nach seiner Lebensretterin benannt: Christine.
