Hip-Hop trifft auf Hippie-Song
Gießen. Ein neues Format am Stadttheater Gießen. Genauer gesagt ging das Format »Open Mic« jetzt in die zweite Runde. Solche Veranstaltungen sind immer spannend, zeigen sie doch, was das Theater und seine Künstlerinnen und Künstler jenseits des Abonnementspielplans so alles auf dem Kasten haben. Nach dem erfolgreichen Auftakt im vergangenen Jahr gab es nun für Schauspiel-Neuzugang Levent Kelleli und den Wuppertaler Rapper Aizae wieder Gelegenheit, ihre neuen Rap-Songs vorzustellen.
Kelleli ist derzeit in den beiden Dramen »Dantons Tod« und »Hundepark« im Großen Haus zu sehen, in letzterem Stück zusammen mit einer ukrainischen Mädelsband auch als Musiker.
»Ist es gut oder böse, geh ich unter oder bleib ich«: Es sind eingängige Texte, eingängige Rhythmen, von denen im raschen Tempo der Beats nur einige im Gedächtnis bleiben können. Ob auf Deutsch oder Englisch, ein Song auch auf Türkisch: Levent Kelleli und sein »Onkel« Aizae aus Wuppertal hielten die Zuhörer in bester HipHop-Manier in Spannung, musikalisch unterstützt von Henrik Loos (alias Herock) an der Gitarre, John Ohry (Gesang) und Scid da Beat am Mischpult. Die genannten Musiker waren auch als Solisten am Mikro und in wechselnden Formationen zu erleben.
Zwischen Liebe und Verachtung
Geboten wurden Lieder und Sprechgesänge von der Unbill des Lebens, von der Liebe und von Verachtung, von der ganzen Bandbreite, die sich von einem Musikerleben erzählen lassen. Und immer dabei war der pumpende Beat, der im Hintergrund für Struktur sorgte.
Allein auf seine Stimme verließ sich dagegen Rapper Aizae, als er einige neue Texte vortrug, Gedichte mit Emotionen und natürlich Rhythmus, mit Titeln wie »Schmied« und »Der melancholische Gott«. Zur besseren Performance musste seine Stimme von der Technik dann doch mit etwas Hall unterlegt werden. Die guten Texte boten so Impressionen fürs Kopfkino, etwas Hall kann da nicht schaden.
Nicht so leicht hatten es alle, die nicht aus dem Rapper-Umfeld kamen. Beispielsweise die junge Singer-Songwriterin Jane Mihm alias Genius Jane, die sich in der Szene zuvor mit Auftritten im Ulenspiegel oder auf der Internet-Plattform TikTok einen Namen gemacht hatte. Sie trug ihre selbst geschrieben Songs von Liebe und dem alltäglichen Leben vor. Mit dem Song »Hippies are in Town« sorgte sie für eine ganz spezielle Stimmung im Saal und erwies zugleich ihre Reverenz an die 1968er-Generation. Bei ihren Auftritten verließ die Rapper-Riege den Raum für eine Pause im Freien, was für einige Irritation im Publikum sorgte.
Zunächst fast vergessen von den Moderatoren wurde Kulturamtsleiter Dr. Stefan Neubacher, der ebenfalls als Musiker aktiv ist. Nach zweimaliger Nachfrage durfte er dann doch ans Mikrofon, wo er unerschrocken und gewitzt einen Song seiner Gruppe »Auf Krücken durch Rom« vortrug.
Ebenso hervorragend machten ihre Sache Grga Peroš und Clarke Ruth, Opernsänger am Stadttheater Gießen. Ruth legte eine Performance in bester Rapper-Manier vor, die erstens zeigte, dass zum Hip-Hop auch die tiefen Töne passen, und zweitens, dass auch ein klassisch ausgebildeter Sänger durchaus lockere Rapper-Rhythmen hinbekommt.
Jetzt sind alle gespannt auf die neue Folge von »Open Mic«. Diesmal gern mit einem höheren Frauenanteil - und auch gerne mit mehr Publikum. Denn eine solch kurzweilige Show mit beachtlichen künstlerischen Qualitäten ist in Gießen jederzeit willkommen.