Hollywood am Hardthof

Für das Filmprojekt »Gießen 1907« schlüpft Jan Schick in die Rolle des Großherzogs - und ein »Tatort«-Darsteller ist beim Dreh in Gießens Weststadt auch dabei
Gießen . Hufgeklapper tönt durch den Unteren Hardthof, vor dem Eingang zum Garten hat sich eine Menschentraube gebildet. Neugierig recken die Zuschauer ihre Hälse in Richtung der Pferdekutsche, um einen Blick auf den besonderen Gast zu erhaschen: Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt ist zu Gast in der Universitätsstadt. Am Unteren Hardthof will er die Brauerei von Georg Bichler besichtigen - und bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Fässer Bier für seinen Hof ordern.
Wären die vielen Kameras nicht, man könnte sich in Gießens Weststadt an diesem Morgen fühlen, als sei man kurz zuvor aus einer Zeitmaschine gestolpert. Doch der Besuch des Großherzogs ist nur Fiktion, das Team um Edgar Niebergall hat die Szene für den Film »Gießen 1907« erdacht. Mit dem rund 90-minütigen Spielfilm will Niebergall sowohl die Erinnerung an das alte Gießen wachhalten, als auch Spenden für den Gießener Hospiz-Verein sammeln (der Anzeiger berichtete).
Mit Kostüm eine andere Person
Alle, die vor oder hinter der Kamera im Einsatz sind, tun dies unentgeltlich. Die Rolle von Brauerei-Chef Bichler hat Florian Dreyer übernommen. Mit Bier kennt sich der Geschäftsführer der Gießener Brauerei GmbH & Co. KG aus. Wie fühlt sich das an, plötzlich als Schauspieler vor der Kamera zu stehen? »Während des Studiums habe ich mal Theater gespielt. Wenn man einmal im Kostüm steckt, ist man eine andere Person.«
Das hat auch Margit Jochem festgestellt. Sie arbeitet im Licher Kostümverleih »Wundertüte« von Doris Blasini, der die Kostüme für den Filmdreh zur Verfügung stellt, und ist heute als Statistin dabei - perfekt gestylt von Kopf bis Fuß. »Ich habe mich früher nie gerne verkleidet«, erinnert sie sich. Mittlerweile sei das anders, denn »man ist plötzlich in einer anderen Welt und traut sich viel mehr«.
Sieben Szenen stehen für heute auf dem Plan, den Anfang macht die Begrüßung des Großherzogs. »Habt recht vielen Dank, mein lieber Bichler. Ich habe schon so viel Gutes von eurer Brauerei gehört«, sagt Jan Schick. Das Wolverine-Double des australischen Filmstars Hugh Jackman hat die Rolle des Großherzogs übernommen, seine Frau, Designerin Tanja Edeling, steht als Großherzogin vor der Kamera.
Eine »Herzensangelegenheit« sei ihnen die Unterstützung des Filmprojekts. Das Paar hat auch gleich noch Prashant Prabhakar mit ins Bott geholt. Der 47-Jährige stand bereits für Großproduktionen wie »Tatort« und »Stromberg« vor der Kamera. Für den Gießener Low-Budget-Film schlüpft er in die Rolle des Kellermeisters: »Geld ist mir nicht wichtig. Ich habe Zeit, also bin ich dabei«, sagt der Göttinger und lacht.
Während die Schauspieler ihre Position einnehmen, blickt Max Schmidt prüfend auf das Display seiner Kamera. Haben alle Mitwirkenden und die Hardthof-Anwohner ihre Autos weit genug weg geparkt? Ist das Mikrofon auch nicht im Bild? Schmidt studiert Fachjournalistik Geschichte an der Justus-Liebig-Universität und sammelt als Kameramann und Cutter Praxiserfahrung. Der Offene Kanal Gießen unterstützt den Filmdreh mit der nötigen Technik. »Ohne Max’ Expertise, wie man heute Filme macht, wären wir aufgeschmissen«, lobt Prof. Michael Schmitz. Der emeritierte Agrarökonom fungiert für »Gießen 1907« als Projektmanager.
Mit acht Jahren die jüngsten Darstellerinnen an diesem Tag sind Stella und Ella. Die beiden Mädchen stehen zusammen mit den übrigen Statisten Spalier und begrüßen das Herzogspaar im beschaulichen Gießen. »Wir waren richtig aufgeregt und konnten gar nicht schlafen.« Deutlich mehr Routine hat der Grünberger »Bembelator« alias Martin Philippi, der den adligen Besuch mit einer Posaune ankündigt.
Ein bisschen scheint es beim Dreh, als habe Niebergall, der seit 25 Jahren den Flohmarkt in der Rodheimer Straße betreibt, halb Gießen und Umgebung für sein Projekt gewinnen können. Stadtführer Peter Meilinger rollt ein Bierfass über das Kopfsteinpflaster und ist dabei natürlich ebenfalls perfekt kostümiert. Die Spalier-stehenden Damen üben derweil zusammen mit Regisseurin Anja Horstmann und Stadtführerin Dr. Jutta Failing, die auch als Darstellerin dabei ist, noch mal den Knicks. »Nicht ganz so tief«, rät Failing und macht vor wie es geht. Im Hintergrund ist dabei das stetige Klicken der Kamera von Dieter Nuber zu hören. Er hält nicht nur die Dreharbeiten fest, sondern arbeitet für den Film auch historische Fotografien auf. Björn Rost, alias TikToker »Sheriff Pump« filmt derweil mit seinem Handy. »Wenn er ein Video hochlädt, sind gleich Tausende dabei«, sagt Schmitz über die Unterstützung des Influencers. Künstler Pierre Schrader hat für das Filmteam eine Maske angefertigt.
Der Dreh am Unteren Hardthof ist der aufwendigste, fünf Stunden haben Niebergall und seine vielen Unterstützer eingeplant. Direkt nach der Begrüßung des Großherzogs wird auch gleich dessen Verabschiedung gedreht, damit die eigens bestellte Pferdekutsche noch vor der großen Sommerhitze wieder abziehen kann. Wenn alles glatt geht, könnte der Film noch in diesem Jahr fertig werden. Einnahmen und Sponsorengelder kommen zu 100 Prozent dem Hospiz-Verein zugute. Natürlich könne man auch einfach so spenden, sagt Niebergall, der die Ehrenamtlichen bereits seit Jahren unterstützt. »Aber das wäre ja langweilig.«
