»Ich war total betrunken«
Der Prozess um eine Messerstecherei im Oktober 2021 vor einer Kneipe in der Frankfurter Straße in Gießen wurde jetzt fortgesetzt. Der aufgerufene Zeuge konnte keine brauchbare Aussage machen.
Gießen. Wegen gefährlicher Körperverletzung muss sich zurzeit ein 29-Jähriger vor dem Amtsgericht Gießen verantworten. Unter Vorsitz von Dr. Dietrich Claus Becker gilt es zu klären, was sich wirklich in den frühen Morgenstunden am 22. Oktober 2021 vor einer Bierkneipe in der Frankfurter Straße ereignet hatte.
Gegen 4.30 Uhr gab es eine handfeste Auseinandersetzung vor dem Lokal, die teilweise von der dort im Außenbereich angebrachten Kamera gefilmt wurde. Mindestens zwei Geschädigte sollen daraus hervorgegangen sein, teils mit erheblichen Verletzungen. Dabei soll der Angeklagte auch ein Messer benutzt haben. Die größte Verletzung soll der Hauptgeschädigte im Gesäßbereich durch das Messer erlitten haben und den anderen soll der 29-Jährige derart hart gestoßen haben, dass er sich die Schulter auskugelte. Im Anschluss daran will er seinen schwer verletzten Freund noch nach Hause in die Neustadt gebracht haben.
Die Verletzungen wurden dokumentiert, jedoch erst rund acht Stunden später: Erst gegen 13 Uhr begab er sich in ärztliche Behandlung. Ein Umstand, der Fragen aufwarf. Ein weiterer Beteiligter, dem der Angeklagte eine Ohrfeige versetzt hatte, war zunächst nicht zu identifizieren. Die Gerichtsprotokollantin erkannte ihn auf dem Video bei der Verhandlung, sodass er nun auch als Zeuge befragt werden konnte.
Über den betreffenden Abend sagte er aus, dass er als Erstsemester mit anderen »Erstis« eine Kneipentour gemacht habe und sich an die ganze Sache überhaupt nur noch sehr vage erinnern könne: »Da ist viel Alkohol an dem Tag geflossen. Ich war sehr betrunken.« So wisse er nicht einmal mehr genau, wie er anschließend nach Hause gekommen sei. An die Ohrfeige konnte er sich noch erinnern, allerdings meinte er, dass dann für ihn »alles gut« gewesen sei.
Faktencheck
Bei der Schlägerei vor der Kneipe ist auch der Angeklagte selbst verletzt worden. »Da ist deutlich etwas eskaliert«, kommentierte Becker. Der Barkeeper hatte an einem vorherigen Verhandlungstag gesagt, dass der Mann geblutet habe »wie ein Schwein«.
Die Schilderungen wurden nun einem Faktencheck unterzogen - und zwar in der Form, dass man sich das komplette Band erneut ansah. Dafür erwies es sich als Vorteil, dass man aus Platzgründen in den externen Gerichtssaal am Stolzenmorgen umziehen musste, denn dort ist die technische Ausstattung weitaus komfortabler. Allerdings spielte sich das Hauptgeschehen außerhalb des Kamerabereichs ab.
Nach dem Abspielen der Aufnahme resümierte der Vorsitzende, dass er genau zwei Schläge des Angeklagten beobachtet habe. Er habe zwar auch für einen kurzen Moment ein Messer aufblitzen sehen, dass es auch benutzt wurde, hielt er indes nicht für erwiesen. Gleichwohl passe der geschilderte Tathergang der beiden mutmaßlichen Opfer nicht zu den Videoaufnahmen. So sei der Hauptgeschädigte noch »recht normal aus dem Bild herausgelaufen«. Und dass sein Freund ihn trotz ausgekugelter Schulter in die Wohnung getragen habe, bezweifelte Becker ebenfalls nachdrücklich. Daher hält der Richter es durchaus für denkbar, dass die Geschädigten sich ihre Verletzungen nicht vor der Bierkneipe zugezogen hätten, sondern erst später - und dass ihre erste Version des Geschehens dann doch stimmen würde.
Gegenüber der Polizei soll der Hauptgeschädigte zunächst ausgesagt haben, er sei gemeinsam mit seinem Freund nach einem Kneipenbesuch am Lahnufer gewesen. Dort seien sie auf zwei weitere Männer gestoßen, wovon einer ihn mit einem Messer angegriffen habe. Diese Version hatten die beiden jedoch im Gerichtssaal widerrufen.
Der Prozess wird am 3. Februar fortgesetzt.