»Ihr Andenken soll gesegnet sein«

Wiesecker Konfi-Team reinigt Stolpersteine und erinnert an das Schicksal jüdischer Mitbürger
Gießen. Ganz in der Nähe der Wiesecker Michaelskirche, wo sich die Konfirmandinnen und Konfirmanden treffen, beginnt der alljährliche Rundgang zu den Stolpersteinen, die im größten Gießener Stadtteil an die von den Nazis ermordeten Juden erinnern. Nun sind die Steine, für die die Kirchengemeinde die Patenschaft übernommen hat, vom Konfi-Team gereinigt worden.
Biografien auf gelben Plakaten
Auf großen gelben Plakaten haben die Jugendlichen die Biografien der damals dort Lebenden aufgeschrieben und verlesen sie jetzt an den einzelnen Stationen. Es ist kalt, die kleinen Teelichter flackern neben den Steinen im Wind. Die jungen Leute setzten sich im Konfirmationsunterricht mit dem Leben der Ermordeten auseinander. Ein Junge findet es gut, dass der Rundgang stattfindet. Nie wieder solle so etwas geschehen wie die Ermordung der Juden durch die Nazis. Er will den Rundgang auch als Warnung an alle verstehen.
Neben Ursula Schroeter, Mitglied der Gießener Koordinierungsgruppe, ist eine weitere Seniorin dabei. Schroeter hat viel über die Schicksale der in Wieseck lebenden Jüdinnen und Juden recherchiert. Und sie hat Fotos und Schriftstücke dabei, erzählt Einzelheiten und Geschichten. Zehn Stolpersteine gibt es in Wieseck.
In zwei Gruppen werden die Gedenksteine an diesem Tag aufgesucht. Viel Verkehr herrscht in der Gießener Straße, wo die Jugendlichen und Pfarrerin Iris Hartings stehen, und es ist laut. Vor dem Fachwerkhaus senken sie - wie an den anderen Orten auch - für einen Moment die Köpfe zum Gedenken. »Zichronam livracha«, sagt Iris Hartings anschließend und übersetzt gleich: »Ihr Andenken soll gesegnet sein.« Dann stellt sie das Teelicht auf den Boden des schmalen Bürgersteigs.
Ein Junge, der mitläuft, hat bei seinem Besuch im Konzentrationslager Buchenwald mit seinem Vater viel über die Gräueltaten der Nazis erfahren. Und er hat seinen Mitkonfirmanden in den Vorbereitungsstunden für den Rundgang davon erzählt. Die Jugendlichen reagierten erschüttert.
Eng ist es in der Keßlerstraße. In dem Haus befindet sich heute eine Gemeinschaftspraxis von Ärzten. Die Gruppe muss immer wieder Platz machen. Patienten sind irritiert über die Ansammlung von jungen Leuten, vermuten gar eine Demonstration. Doch es ist schnell aufgeklärt, um was es hier geht: »Stolpersteine«, ruft ein Junge und deutet auf den Boden.
42 Grabsteine auf dem Friedhof
Dr. Ludwig Katz praktizierte hier und für ihn und seine Familie sind drei Stolpersteine in das Pflaster eingelassen. Auch zu seiner Geschichte weiß Ursula Schroeter etwas zu berichten. Katz meldete sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Militär. Und er bekam für seinen Dienst das Eiserne Kreuz. Er meinte, das schütze ihn vor den Nazis, doch das war ein Trugschluss. Katz wurde 1942 deportiert und im KZ Treblinka ermordet.
Zum Abschluss besucht die Gruppe den Teil des Wiesecker Friedhofs, wo 42 Grabsteine an die jüdische Bevölkerung erinnern.