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»In der Galerie muss keiner frieren«

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Der Center-Manager der Galerie Neustädter Tor, Olaf Deistler, muss in diesem Winter gleich mehrere Herausforderungen für Gießens größtes Einkaufszentrum meistern. Foto: Berghöfer © Berghöfer

Olaf Deistler ist der neue Center-Manager der Galerie Neustädter Tor. Der Anzeiger hat mit ihm über Krisen, Corona und Weihnachtsbeleuchtung gesprochen.

Gießen . »Knien Sie sich in die Arbeit und ins Leben und angeln Sie, wann immer Sie können. Ist man erst am Wasser, wird man erneuert«, schreibt Thomas McGuane in seinem Roman »Unendliche Stille«, in dem er dem Fliegenfischen ein literarisches Denkmal setzt. Viel Zeit, sich zu erneuern, ist Olaf Deistler, dem inzwischen nicht mehr ganz so neuen Center-Manager der Galerie Neustädter Tor und passionierten Fliegenfischer, ebenso wenig geblieben wie eine Schonfrist. Die braucht der Vater von zwei Kindern (und seit zwei Jahren auch stolzer Großvater) aber ohnehin nicht, denn in der Immobilien-Branche hat sich der 54-Jährige einen Ruf als »Feuerwehrmann« erworben.

Der Feuerwehrmann

Als Nachfolger der nach sieben Jahren ausgeschiedenen Center-Managerin Fabiola Peiniger muss er nicht nur die von ihr vorangetriebene Umstrukturierung der Shopping-Mall abschließen, sondern sich auch Herausforderungen stellen, an die vor einem Jahr noch niemand gedacht hat. Olaf Deistler strahlt die Ruhe eines Mannes aus, der schon ganz andere Aufgaben gemeistert hat.

Nach der Fachoberschule und der Bundeswehr erlernte er den Beruf des Einzelhandelskaufmanns. Während für viele Berufskollegen die Leitung einer Supermarktfiliale der Karrierehöhepunkt bleibt, startete er schon in einer verkürzten Ausbildung in eineinhalb Jahren - statt der üblichen drei - richtig durch. Während der Ausbildung leitete Deistler eine eigene Abteilung, in der er selbst Mitarbeiter ausbildete. Kurz darauf war er Geschäftsleiter einer Filiale, 2004 wechselte er ins Center-Management. »Ich war schnell dazu prädestiniert, mich um die schwierigen Geschichten zu kümmern«, sagt er im Gespräch mit dem Anzeiger in einer Eisdiele in der Galerie. Da hat er doch eigentlich immer gut zu tun, da es im Einzelhandel eigentlich nur noch schwierige Fälle gibt, oder? Deistler seufzt und lächelt: »Das ist leider so.«

Ritterschlag auf der Zeil

2011 erhielt er den Ritterschlag der Branche, als ihn die Eigentümer des größten Shopping-Centers in Deutschland als leitenden Manager nach Frankfurt holten. Fünf Jahre lang leitete Deistler das »MyZeil«, zu dem damals noch das Bürohochhaus »Nextower«, das Fünf-Sterne-Hotel »Jumeirah« und das Veranstaltungsgelände des »Thurn und Taxis«-Palais gehörten.

Einige Stationen später wechselte er zu Prelios, das heute Girlan heißt, dem Eigentümer der Galerie Neustädter Tor. Im Frühjahr kam er schließlich als Projektmanager zur Unterstützung des Umbaus nach Gießen. Nach dem Ausscheiden Peinigers übernahm Deistler das Center-Management.

In Gießen lebt er aus dem Koffer und im Hotel. Seinen eigentlichen Wohnsitz hat er in der Nähe von München, wo es ihn immer wieder hinaus in die Natur und vor allem ans Wasser zieht. Das Fliegenfischen ist der Ausgleich, den er braucht, weil man als Center-Manager eigentlich 24 Stunden am Tag im Einsatz sei. »Auch im Urlaub klingelt mal das Telefon, und deshalb versuche ich, meine Freizeit konsequent zu nutzen und mich nicht vom Job auffressen zu lassen.« Mit dem Gießener Anzeiger hat er über seine Pläne für die Galerie und die aktuellen Herausforderungen für den Einzelhandel gesprochen.

Amazon, Corona, Energiekrise: Macht der Job noch Spaß, wenn der Einzelhandel - ohne etwas dafür zu können - von einer Krise in die nächste stolpert?

Ja, es macht Spaß, sonst könnte ich diesen Job gar nicht machen, weil er viel zu anspruchsvoll ist, um ihn lustlos zu machen. Corona hat uns allen wehgetan, darüber müssen wir nicht diskutieren. Wie sich die Energiekrise auswirken wird, das sehen wir jetzt erst. Natürlich sind die Ängste im Einzelhandel sehr groß. Und was die Herausforderung Amazon betrifft, da ist der Einzelhandel gefragt. Der deutsche Käufer an sich ist ja normalerweise jemand, der die Ware gerne anfasst und der gerne eine Beratung hat. Der Einzelhandel muss also den Spagat meistern zwischen haptischen Angeboten vor Ort für den stationären Kunden; gleichzeitig muss er auch im Online-Handel Präsenz zeigen. Es sei denn, er hat eine Nische gefunden, für die er den Onlinehandel nicht benötigt. Es gibt diesen blöden, alten Spruch: »Handel ist Wandel«. Der wird immer seine Gültigkeit behalten.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Ja, das ist leider so. Schauen Sie nur auf die Geschichte der Shopping-Center. Auch sie mussten sich mit der Zeit wandeln, und sie müssen das heute noch. Was vor Jahren als reine Verkaufstempel begonnen hatte, sind heute städtische Foren geworden, auf denen sich das ganze Leben abspielt, weil sie eine hohe Verweilqualität bieten. Heute ist das Shopping-Center ein Ort, an dem man sich mit Freunden trifft. Da geht es nicht mehr um die große Einkaufstour, sondern ich kann mich auch in ein Restaurant setzen, ein Fitness-Center besuchen und eben auch etwas einkaufen. Die Umsetzung dieses Mehrwerts, die ist wichtig, und ich denke, das ist uns in Gießen auch gut gelungen.

Das bedeutet aber auch, dass man mehr Aufwand betreiben muss und dennoch weniger Umsatz hat.

Nicht unbedingt. Es ist ja auch die Aufgabe der Mieter, ihren Laden und ihren Auftritt so zu gestalten, dass die Menschen Lust haben, hinein zu gehen. Den ersten Schritt haben wir getan, in dem wir die Leute in die Mall locken. Den zweiten Schritt müssen die Mieter gehen, um die Besucher in ihre Läden zu locken.

Verkaufen heißt verführen.

Genau. Wir sind ja auch noch nicht fertig mit dem Umbau. Die groben Strukturen stehen weitgehend. Das Problem der Leerstände haben wir auch im Griff, aber die Corona-Pandemie hat uns natürlich hart getroffen und wir wissen immer noch nicht, wie es damit weitergeht. Und dann kommt ja jetzt noch die Energiekrise dazu.

Die dürfte Sie doppelt treffen. Höhere Kosten und Kunden, die weniger Geld zum Konsumieren haben.

Richtig, deshalb ist es auch schwierig, dann noch die passenden Mieter zu finden. Nicht nur der Eigentümer hat hier hohe Investitionen, sondern auch die Mieter. Die müssen wieder reingeholt werden, und das gestaltet sich in dieser Zeit natürlich schwierig. Das war vor zehn Jahren einfacher. Aber wir sind auf einem guten Weg. Stück für Stück kommt etwas Neues dazu.

Nun sind Ihre jüngsten Neuzugänge wie Kik und Tedi ja nicht gerade Mieter, die eine Kundschaft mit gut gefülltem Geldbeutel ansprechen.

Wir sind halt kein klassisches Shopping-Center. Wir haben zum Beispiel nicht die gleiche Klientel wie Marburg, wir haben hier ein sozial schwächeres Publikum. Darauf muss man sich auch mit der Struktur des Shopping-Centers einstellen. Was nicht heißt: billig, billig. Es bringt aber auch nichts, gegen diese Realität anzukämpfen. Das gilt auch für unsere Lage in der Stadt.

Wie meinen Sie das?

Die Galerie ist etwas vom Seltersweg abgeschnitten. Und der Abschnitt zwischen uns und dem Seltersweg ist nun mal nicht gerade der Schönste in der Stadt, aber wir haben immer noch das angenehmste Parkhaus in Gießen.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Übergang zum Seltersweg von der Stadt einmal aufgewertet wird?

Wir sind da in Gesprächen, aber Gießen ist ja ohnehin gerade im Prozess der Stadtentwicklung. Da wird in den nächsten Jahren noch viel passieren. Das müssen wir erst mal abwarten.

Nun sind Shopping-Center als Dinosaurier des Einzelhandels vielleicht gar nicht mehr zeitgemäß.

Naja, Shopping-Center sollten eigentlich von der Größe dem Umfeld angepasst sein. Zum Beispiel konnte man früher in der Galerie noch im Obergeschoss durchgehen, das war einfach zu viel, das haben wir geschlossen. Aber wir haben auch Marken nach Gießen geholt, die bislang gar keinen Platz in der Stadt hatten, weil sie gar nicht die Flächen gefunden haben, die sie brauchen. Bei den Leerständen im Seltersweg zum Beispiel handelt es sich durchweg um kleinere Flächen, die von größeren Mietern wie Tedi gar nicht genutzt werden können.

Sie haben bereits gesagt, dass Sie die Umstrukturierung der Galerie zu einem Erlebnisort abschließen wollen. Haben Sie darüber hinaus eigene Pläne für die Zukunft des Gebäudes?

Vorstellungen habe ich viele. Wir müssen aber erst einmal unsere Hausaufgaben beenden. Das ist ein abgestimmter Weg und den setzen wir jetzt erst einmal fort, sicherlich mit meinen eigenen Nuancen, aber ich werde jetzt ganz bestimmt nicht das Rad neu erfinden. Wichtigstes Ziel bleibt erst einmal der Abschluss der Bauarbeiten im Gebäude, und dann wollen wir dieses Objekt dort am Markt etablieren, wo es hingehört. Das hängt nun einmal auch von äußeren Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen können. Aber das ist eben der Job eines Center-Managers, auf unkalkulierbare Herausforderungen angemessen zu reagieren.

Werden Sie auf die steigenden Heizkosten reagieren und zum Beispiel in der Galerie die Raumtemperatur senken?

Wir brauchen natürlich eine Wohlfühltemperatur in der Galerie. Aber es gibt ja die Vorgaben seitens der Bundesregierung, die für alle Gewerbetreibenden bindend sind. An diese Vorgaben werden wir uns halten, aber mit den Raumtemperaturen auch nicht unter diese Vorgaben gehen, weil ich damit meine Besucher und auch die Mitarbeiter meiner Mieter vertreiben würde. Entweder zahle ich diese immensen Kosten und habe dann noch Kunden in meinem Haus, weil sie sich hier wohlfühlen, oder ich verliere meine Kunden. Das ist für uns eine Gratwanderung. Wir können nicht die Temperatur soweit senken, dass sich niemand mehr in eine Umkleidekabine traut, weil ihm dort zu kalt ist.

Es gibt aber eine Grenze, unter der Sie Ihre steigenden Kosten nicht mehr an die Kunden weitergeben können.

Sicher, und diese Grenze ist jetzt eigentlich schon fast erreicht.

Wie halten Sie es in diesem Jahr mit der Weihnachtsbeleuchtung?

Es wird auf jeden Fall eine neue Weihnachtsbeleuchtung im Shopping-Center selbst geben, die an unser neues Design angepasst ist. Diese neue Weihnachtsbeleuchtung wird komplett aus LED-Lampen bestehen, was alleine schon eine große Kosteneinsparung bedeuten wird. Eine Außenbeleuchtung an der Fassade gibt es aber nicht.

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