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In Gießen, in Sicherheit

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Von: Björn Gauges

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Sahar Ajdamsani (links) berichtete im Gespräch mit Angela Dorn, Landesministerin für Kunst und Kultur, in der Stadtbibliothek von den Schikanen, denen sie in ihrer Heimat ausgesetzt war. Foto: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst © Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst

Die Künstlerin Sahar Ajdamsani musste vor den Schergen des iranischen Staatsapparats fliehen. In Gießen findet sie nun durch ein Stipendium ein neues Zuhause.

Gießen. »Endlich bin ich in Sicherheit«. Es klingt mehr nach einem Stoßseufzer der Erleichterung als nach einer nüchternen Feststellung, als die iranische Musikerin, Schriftstellerin, Fotografin und Aktivistin Sahar Ajdamsani ihre Geschichte erzählt. Die 26-Jährige wurde für das Landesprogramm »Hafen der Zuflucht Hessen« ausgewählt und darf nun als Stipendiatin ein Jahr lang in Gießen leben und arbeiten. Nun sitzt sie in der Stadtbibliothek und bedankt sich emotional bei Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, bei der hessischen Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn, bei den ehrenamtlich arbeitenden Aktivisten des Gießener Vereins Gefangenes Wort. »Sie haben mich gerettet!«

Sahar Ajdamsani studierte Archäologie, doch ihre Liebe gehört der Kunst und vor allem der Musik. Mit einer Mischung aus folkloristischen Klängen und Spoken-Word-Texten fand sie in ihrer Heimat immer wieder ein Publikum, auch wenn Frauen das Musikmachen im Iran verboten ist. Dennoch trat sie mehrfach in ihrer Heimatstadt auf, beschränkte sich aber auf kleine Orte sowie auf Frauen als Besucherinnen, um keinen Anstoß bei den Sittenwächtern zu erregen.

Zugleich setzte sie sich in ihren Texten immer weder für Frauenrechte ein. Im Jahr 2021 veröffentlichte sie gemeinsam mit anderen Künstlern und Künstlerinnen den Song »Quarantine World«, was zu Schikanen seitens der Behörden führte - und »eineinhalb Jahre einer sehr schwierigen Zeit«. Dabei wissen man nie, »was sie von dir wollen, wann sie dich holen kommen. Und sie können jederzeit zuschlagen«, berichtet sie über den beängstigenden staatlichen Unterdrückungsapparat.

Angst vor dem Sicherheitsapparat

Als die junge Frau dann schließlich zuhause einen Anruf erhielt und aufgefordert wurde, sich bei einer Behörde zu melden, packte sie kurzerhand ihre Sachen und flüchtete aus ihrer Heimat über die irakische Grenze in die Großstadt Erbil. »Dort habe ich drei Monate gelebt, ohne Essen, ohne Geld«. Durch die Unterstützung von Bekannten fand sie schließlich den Weg nach Italien und von dort weiter nach Berlin. »Ich wollte immer nach Deutschland«, bekennt sie, »und kann Ihnen nun gar nicht genug für Ihre Unterstützung danken«.

Oberbürgermeister Becher entgegnete, dass nicht nur die Künstlerin, sondern auch die Stadt von diesem Stipendium profitiere. »Wir hören Ihre Perspektive. Von der Unterdrückung aus dem Fernsehen zu erfahren ist das eine, von echten Menschen und Schicksalen etwas ganz anderes.« Und Ministerin Dorn unterstrich angesichts ihres Schicksals und der dramatischen Lage im Iran, »wie wichtig es ist, für die Demokratie zu kämpfen«.

Hervor geht dieses Landesprogramm aus dem Engagement einer Gießener Studenteninitiative: dem Verein Gefangenes Wort. Mit dem neuen Landesprogramm, dem in diesem Jahr 150000 Euro zur Verfügung stehen, konnten die Mitglieder 2022 noch vor dem offiziellen Start die ukrainische Lyrikerin Victoria Feshchuk nach Kassel holen. Nun haben sie sich für die Iranerin Ajdamsani entschieden, die sie in Gießen betreuen und bei der Eingewöhnung unterstützen werden. Die Entscheidung war laut Projektmanagerin Susanne Franke angesichts der vielen Bewerbungen und schwierigen Schicksale allerdings sehr schwer zu treffen. Leiten ließen sie sich dabei von der schwierigen Lebenssituation der Künstlerin, zudem berieten sie sich mit dem US-Autorenverband PEN America, der die Iranerin bereits in Berlin unterstützte. Gleichzeitig gebe es noch unzählige weitere verfolgte Künstler, »denen man ebenfalls helfen müsste«, sagt Franke.

Die nun in Gießen lebende Iranerin will über ihre Erlebnisse schreiben, vielleicht auch einen Film machen, wie sie in der Stadtbibliothek ankündigt. Auch öffentliche Auftritte sind geplant.

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Für die Rechte der Frauen einzutreten, erwies sich für die Iranerin Sahar Ajdamsani als lebensgefährlich. Foto: dpa © dpa

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