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Irrgarten der Irrwitzigkeiten

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Von: Astrid Hundertmark

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Wie kürzlich in Gießen, so auch in Wetzlar mal oben ohne: Torsten Sträter in der Buderus-Arena. Archivfoto: Czernek © Barbara Czernek

Torsten Sträter begeistert in Wetzlar 5000 Zuschauer mit Wortakrobatik ohne Netz und doppelten Boden und entlässt den einen oder anderen nach zweieinhalb Stunden »angenehm ausgelaugt«.

Wetzlar. »Schnee, der auf Ceran fällt« - so der Titel der Torsten Sträter-Show am Montagabend in Wetzlar. Aber: »Es hätte auch »Bonusmeilen für die Wanderhure« heißen können«, erklärt der Comedian aus Dortmund gleich zu Beginn, das allerdings hätte seiner Agentur nicht so gut gefallen. Und ja, es ist auch völlig egal, was über einem Programm des Ruhrpott-Poeten steht, denn seine Geschichten folgen keinem roten Faden. Vielmehr spinnt der 56-Jährige fleißig ein Netz aus vermeintlich verworrenen Pointenfäden und bindet die losen Enden am Ende doch zusammen.

»Schöner Bumms hier«, lobt er die Buderus-Arena, »schöne Anfahrt auch mit Ihnen hier so im Stau« und schon ist bei den über 5000 Besuchern der Ärger über die Stop-and-Go-Anfahrt bis hinauf auf Parkebene vier vergessen.

Pointenfäden

Sträter treibt die Zuhörer durch einen Irrgarten der Irrwitzigkeiten und, irre witzig, manches kommt einem sogar irgendwie bekannt vor. Wie die »Mantra-Sätze« aus der Kindheit: »Man kann auch mal ‘nen Scherz machen, aber nicht immer«, was der junge Sträter schon damals trotzig dem Vater mit »Doch!« pariert und bis heute konsequent umgesetzt hat. Oder Mutters mahnende Worte: »Geh’ nicht übers Gewischte«, was ihm - angeblich - als Titel für einen nächsten Mysterie-Thriller dienen wird. Sprache ist sein Ding, und wehe, wer es damit nicht so genau nimmt. Da kennt der selbsternannte »Sprach-Nazi« kein Pardon. Beispiel gefällig? »Ein Bekannter sagte zu mir: Mein Hund hat gewittert. Wie jetzt? Kommen dem Dackel Blitze aus’m Hintern? Das heißt: Mein Dackel hat etwas gewittert, du Honk!«.

Nur mit den »Plurälen« hat er selbst so seine Probleme und berichtet von verschiedenen »Traumi«, wie der in seiner Kindheit begründeten Angst vor dem Hustinettenbär. Die war offenbar nicht so fröhlich, schenkt man den leisen Zwischentönen Glauben. Und so hört man doch zwischen all den Fun Facts - wie dem Rechtsstreit um die Kündigung einer Rechtsschutzversicherung, bei der Sting letztendlich im Zeugenstand beim Amtsgericht eine Aussage über die »Police« macht, auch ernste Themen heraus. Schließlich will Sträter sein Publikum auf allen Ebenen »mental abholen« und intellektuell auslasten. Häusliche Gewalt, Toleranz, Religion werden - leicht verpackt, natürlich - gestreift. »In der Bibel steht ja schon einiges Glaubwürdige drin. Aber die Sache mit Moses und dem Meer, dem könne er nicht folgen, denn: »Kein alter Mann kann so lange das Wasser halten.«

Schamane Egbert

Das Tabu-Thema Depression holt er aus eigener Betroffenheit mehr in die Öffentlichkeit - auf strätereske Weise. Vieles habe er probiert, wohlgemeinte Ratschläge angenommen, sogar zu einem Schamanen sei er gegangen. Dieser hätte jedoch keinen indogenen Hintergrund, sondern praktiziert in einem Bochumer Hinterhof und heißt Egbert.

Corona bekommt im Wetzlarer Gag-Gewitter auch seinen Platz. Viel Gutes sei in der Zeit entstanden, insbesondere in der technischen Entwicklung. »Für 16 Millionen kannst du dich jetzt 18 Minuten in den Orbit schießen lassen _ und dann kommst du bei Gütersloh wieder runter. Toll sind auch die sprechenden Uhren, die morgens noch freundlich vorschlagen: Geh’ ein paar Schritte und abends brüllen: Renn endlich los, du Schmock«. Weniger toll: die Konzertverbote in dieser Zeit. Umso größer die Freude, als ihm sein Agent mit den einleitenden Worten »Sitzt du?« ein Engagement im Autokino vermittelt hatte. »Vor 38 Blechkisten, und nur ein Kia nickte mit beschlagenen Scheiben. Ne, das war nix.« Umso größer war jetzt seine Auftrittsfreude und Sträter bekennt: »Ohne Sie finde ich nicht statt».

Nach zweieinhalb Stunden lässt der Dortmunder Wortakrobat seine Fans »angenehm ausgelaugt«, wie es ein Besucher formulierte, im Saal zurück. Und Richtung Ausgang, im grellen Licht des Foyers, erkennt man auf manchem Gesicht kleine schwarze Rinnsale. Wimperntusche, die sich mit den Lachtränen über die Wangen verflüchtigt hat. Gerade so, wie Schnee, der auf Ceran fällt.

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