Jeder Freier ist Täter

»Entmenschlicht - Warum wir Prostitution abschaffen müssen«: Huschke Mau las aus ihrem Buch im Alten Schloss Gießen. Anlass war der Tag gegen Gewalt an Frauen.
Gießen . Ist Sex eine »normale Dienstleistung«, die man einfordern darf, wenn man bezahlt hat? Die aktuelle liberale Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland suggeriert Männern jedenfalls, dass sie ein Recht auf die Verfügbarkeit weiblicher Körper und deren Benutzung haben, wovon 1,2 Millionen Sexkäufer pro Tag Gebrauch machen. Gegen diese Denkweise kämpfen Frauen wie Huschke Mau und der Gießener Verein »Alarm! Gegen Sexkauf und Menschenhandel«.
Martyrium
Auf Einladung des Vereins las die Aktivistin und Autorin aus ihrem Buch »Entmenschlicht - Warum wir Prostitution abschaffen müssen« im Netanya-Saal im Alten Schloss. Die mittlerweile promovierende Autorin weiß genau, wovon sie spricht: Sie hat ein Martyrium in der Prostitution durchlebt, schaffte den Ausstieg und kämpft seitdem für eine wahrheitsgemäße Aufklärung über die Verhältnisse im Milieu. Sie ist Gründerin des »Netzwerks Ella«, einem Zusammenschluss von Frauen, die in der Prostitution waren oder sind, und die sich dafür einsetzen, dass Prostitution als sexuelle Gewalt anerkannt wird.
In der aufwühlenden Lesung beschrieb Mau, wie Frauen in die Prostitution hineingelangen, warum es so schwer ist, wieder auszusteigen und welche Traumata sie dort erleben. Ihre These: Frauen in der Prostitution haben meist keine Wahl. Freier hingegen schon. Nicht die Frauen sollten kriminalisiert werden oder beschämt sein, sondern die Männer. Huschke Mau setzt sich wie der Verein Alarm! und auch die Lesung mitveranstaltenden Partner Wildwasser und die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen für das sogenannte nordische Modell ein, das seit 1999 in Schweden Anwendung findet und Sexkauf kriminalisiert.
Huschke Mau las darüber, wie sie selbst als junges Mädchen, direkt aus der Psychiatrie kommend, in die Fänge eines Polizisten geriet, der sie in die Prostitution führte. »Auf mich trafen die Standard- Einstiegskriterien in die Prostitution zu: Missbrauchserfahrung in der Kindheit, prekäre wirtschaftliche Lage und eine Person, die diese Lage ausnutzt und den Einstieg in die Prostitution vorbereitet«, so Mau. In jener Zeit lernte sie, eine Rolle zu spielen - die Rolle, die die Freier in ihr sehen wollten. »Die Prostituierte ist eine Projektionsfläche der Wünsche und die Freier kaufen sich ihre Selbstbestätigung«, sagte Mau. Dabei spiele es letztlich keine Rolle, ob die Freier »normale Männer« seien, »Sadisten« oder sogar »der nette Typ von nebenan«. »Denn alle nehmen eine Zwangslage der Frauen in Kauf und fragen nicht nach.«
Das aktuelle System in Deutschland fördere diese Lage nur. »Auch in ganz legalen Bordellen arbeiten Frauen in Zwangssituationen«, betont Mau. Die Gesellschaft selbst leide darunter, dass der Kauf von Sex legal sei. »Damit legalisiert man das übergriffige, ausbeutende Verhalten von Männern, sexuellem Missbrauch und Menschenhandel - denn nichts anderes ist Prostitution in den meisten Fällen.«
»Was ist mit den Gegenargument: Wenn die Prostitution abgeschafft wird, steigen die Vergewaltigungen«, fragte eine Stimme aus dem Publikum. Das sei ein Scheinargument, entgegnete Mau: »Wir billigen doch auch keiner anderen gesellschaftlich problematischen Gruppierung ein gewisses ›Missbrauchskontingent‹ zu - bei Kinderschändern nicht oder auch bei Neonazis nicht, nur damit der Rest der Gesellschaft Ruhe hat«.
Männer mit problematischem sexuellen Verhalten müssen kriminalisiert werden und die Verantwortung für ihr Handeln selbst tragen - nicht die Prostituierten. Die Gewalt gegen Prostituierte sei in Deutschland mittlerweile signifikant höher als beispielsweise in Schweden, wo seit 1999 das Sexkaufverbot gelte. Außerdem schwappe die problematische Denkweise, dass Sex eine Dienstleistung sei, die man einfordern könne, natürlich in die Gesamtgesellschaft zurück und bedrohe damit letztlich alle Frauen.
Haltung zeigen
»Es ist nicht angenehm, darüber nachzudenken und sich bewusst zu machen, dass man Männer, die zu Prostituierten gehen, überall findet - in Schaltstellen von Politik, Justiz, Medien, Verwaltung und Wirtschaft - und auch in der eigenen Nachbarschaft«, sagte Mau. Diese Männer nähmen jedes Mal billigend in Kauf, einen Menschen in einer Zwangslage sexuell zu missbrauchen. »Wollen wir eine Gesellschaft, die so etwas zulässt oder müssen wir nicht alle eine Haltung dazu entwickeln, dass sexuell problematisches Verhalten geächtet werden sollte?«, fragte Huschke Mau am Ende der Lesung.
Foto: Schwaepe
Huschke Mau, Entmenschlicht - Warum wir Prostitution abschaffen müssen; Edel Books 2022; ISBN 978-3-8419-0794-3