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Jüngste Vorsitzende boxt sich durch

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Vera Strobel ist neue Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Gießener Stadtverordnetenversammlung. © Scholz

Politik oder Kickboxen? Vera Strobel aus Gießen hat sich für Politik entschieden und den Fraktionsvorsitz der Grünen übernommen.

Gießen. Das Kickboxen aufgeben? Nicht Vera Strobel! Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr für den Sport. »Früher habe ich ganz viel Kickboxen gemacht. Doch leider kollidieren die Trainingszeiten meist mit Sitzungsterminen. Ich war auf dem Weg zum Wettkampf. Bis sich die Frage gestellt hat: Politik oder Wettkampf? Beides ist nicht mehr möglich. Deshalb mache ich Kickboxen jetzt ein bisschen für mich«, erzählt die Juristin. Ende Februar hat die 26-Jährige, die seit sechs Jahren für die Grünen der Stadtverordnetenversammlung angehört, den Fraktionsvorsitz von Alexander Wright übernommen.

Klimawandel. Deutschlandweit bringt das Thema tausende Menschen auf die Straße. Auch in Gießen organisieren Gruppen wie »Fridays for Future« große Demonstrationen. »Für uns Grüne spielen ›Fridays for Future‹ eine wichtige Rolle. Denn durch sie bekommen wir ganz viel Rückenwind. Sie engagieren sich für Themen, die wir seit Jahrzehnten vertreten, Sie haben jetzt aber einfach einen höheren Stellenwert bekommen und werden breiter in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Es geht nicht nur um Politik. Wir brauchen auch die Zivilgesellschaft, die Druck macht«, sagt Strobel. Selbst beteiligt sich die gebürtige Bayerin bei »Lawyers for Future«, einer Bewegung, die »sich erst gegründet hat und versucht, ›Fridays for Future‹ rechtlich zu unterstützen«, erklärt die Fraktionsvorsitzende. Die Wurzeln ihres eigenen Einsatzes für Klima- und Umweltschutz wurden früh gelegt.

»Umgeben von ganz viel Natur«

Sie wuchs in einem kleinen bayerischen Dorf nahe Nürnberg auf, umgeben »von Natur, ganz viel Wald und Feldern. Natur und Tiere waren mir immer sehr nahe. Ich habe auch viel im Tierheim ehrenamtlich gearbeitet und bin schon lange vegan, davor vegetarisch. Das ist mein persönlicher Hintergrund. Umweltschutz, Naturschutz und Klimaschutz haben mich umgetrieben, lange bevor diese Themen breit in der Gesellschaft angekommen sind«, führt die Politikerin aus. Deshalb habe es sie zu den Grünen gezogen. Dort sei sie politisch heimisch.

»Als ich nach Gießen kam, bin ich mit 18 Jahren in die grüne Hochschulgruppe eingetreten. Zunächst war ich im Studierendenparlament und bin darüber zur Grünen Jugend gegangen. Da es in Gießen noch keine große Gruppe gab, bin ich schnell zu den Grünen gekommen«, erinnert sich die Juristin. 2016 die erste Kandidatur bei der Kommunalwahl: Strobel zieht für ihre Partei ins Stadtparlament ein. Ein großer Schritt - die eigene Familie habe den politischen Ambitionen jedoch zunächst etwas kritisch gegenüber gestanden.

»Man kannte das einfach nicht. Aber meine Eltern haben schnell erkannt, dass es wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen, und dass es mir viel Spaß macht, mich einzubringen«, denkt die Fraktionsvorsitzende zurück. Als Älteste habe sie auch immer für die Geschwister Verantwortung übernommen oder Sachen organisiert. »Weil man auf dem Dorf auch nicht so viele Freizeitmöglichkeiten hat, hat es mich sehr schnell zu Büchern und Zeitschriften verschlagen. Schon als 12-, 13-Jährige habe ich jeden Tag unsere Tageszeitung gelesen, weil es nicht viel mehr Möglichkeiten gab und das eben der Kanal in die Welt war.« Wie die 26-Jährige ihren Weg nach Gießen gefunden hat? Durch das Jurastudium: »Ich habe 2013 angefangen, bin an der Uni geblieben und promoviere jetzt im Bereich Völkerrecht.«

In die Wiege gelegt war Strobel auch dieser Werdegang nicht. Sie komme aus einer Arbeiterfamilie und habe keinen akademischen Hintergrund, erzählt die 26-Jährige. Erste Abiturientin der Familie, erste Akademikerin: »Das war auch nicht immer einfach, weil es niemanden in der näheren Verwandtschaft gab, der mir sagen konnte, wie das funktioniert. Und es gab auch ein bisschen Skepsis. Denn wenn man eine Ausbildung macht, dann hat man etwas Handfestes und verdient gleich Geld. Daher habe ich aus meinem Elternhaus ein bisschen die Richtung bekommen, eine Ausbildung zu machen, weil meine Familie eben nicht so die Berührungspunkte mit der Hochschulwelt hatte.«

»Gießen ist meine Heimat«

Gießenerin sei sie mittlerweile durch und durch, betont die Politikerin. Im ersten Lockdown habe sie mehrere Monate in Bayern verbracht und gemerkt, wie sehr ihr Präsenzarbeit, Politik und Gießen fehlten. »Ich war sehr froh als es hier wieder los ging. Gießen ist mittlerweile meine Heimat. Ohne die Stadt möchte ich nicht sein«, unterstreicht Strobel, die mit dem Fraktionsvorsitz noch mehr Verantwortung in der Stadtpolitik übernommen hat. »Das ist für mich ein wichtiges Amt. Ich kann als Person gut eine Brücke bauen zwischen denen, die schon länger dabei sind und viel Erfahrung gesammelt haben, sowie den Jungen, die ganz viel Begeisterung und Idealismus mitbringen.« Strobels Führungsstil?

Kooperativ: »Als ich mich beworben habe, habe ich eine Einführungsrede gehalten. Ich habe gesagt, dass ich uns als Team sehe. Wir sind ein Team von ganz vielen klugen Köpfen. Von Erfahrenen und Jungen. Ich möchte, dass wir zusammenarbeiten und wir die Leute auch weiterqualifizieren. Ich möchte nicht hierarchisch arbeiten, sondern sehr transparent nach außen und innen.«

Auf diesen kooperativen Ansatz setzt die Vorsitzende auch beim Umsetzen der großen politischen Themen wie dem geplanten Verkehrsversuch auf dem Anlagenring. »Das sind ja immer gesamtgesellschaftliche Projekte, bei denen am Ende alle mitziehen müssen, und bei denen man in der Gesellschaft auch den Rückhalt braucht. Aber ich denke, es braucht auch immer Vorreiter, Aktivisten, die vorangehen und sagen: Das ist unsere Idee, die wir umgesetzt sehen möchten. Und dann ist es eben die Aufgabe der Politik, eine Interessensabwägung vorzunehmen, und zu schauen, ob die Idee nicht doch in der Gesellschaft Anklang findet.«

Neben dem Klimaschutz ist der Wahl-Gießenerin die Sozialpolitik wichtig. Es gelte, alle Gesellschaftsschichten mitzunehmen und niemanden abzuhängen. »Durch das Aufwachsen auf dem Dorf habe ich eben auch mitbekommen, wie es ist, wenn der ÖPNV nicht kommt. Dann hat man eben auch keine Möglichkeit, aus dem Dorf rauszukommen, um mehr von der Welt zu sehen. Klimaschutz, Naturschutz - das muss alles sozial verträglich sein . Denn das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe«, unterstreicht die Fraktionschefin der Grünen. Es reiche nicht, Klimaschutz nur für Gutverdiener zu machen. Es müssten alle mitgenommen werden, um nachhaltig zu sein.

Kurz gesagt: Beruf, Ämter und politische Themen haben dem Kickboxen in Vera Strobels Leben mittlerweile weitgehend den Rang abgelaufen. Und der persönliche Ausgleich? Das ist nach wie vor der Sport - etwa beim Laufen im Wald. Zudem besuche sie natürlich auch ihre Eltern. »Die Sommerpause und die Weihnachtsfeiertage verbringe ich dort. Das ist eine andere Welt, und ich finde es wichtig, dass man den Bezug nicht verliert«, resümiert die 26-jährige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gießener Stadtparlament.

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