Käufer mit Sammelbildern gelockt

Die Vermarktung von »Liebigs Fleischextrakt« revolutionierte im 19. Jahrhundert die Werbung in Europa: Das Liebigmuseum Gießen zeigte jetzt eine Ausstellung der begehrten Liebigbilder.
Gießen. Als Vater des Düngers und der organischen Chemie - so ist Justus Liebig weitläufig bekannt. Doch Liebigs Karriere hat ein drittes Standbein: den Fleischextrakt. So revolutionär das Nahrungsmittel auch war, seine Vermarktung stellte das eigentliche Produkt sogar noch in den Schatten.
Vergangenen Samstag erinnerte die Liebig-Gesellschaft zu Gießen unter Leitung von Prof. Gerd Hamscher mit dem Liebigbilder-Tag an ein Phänomen, das Werbung in Europa für immer verändern sollte. Begleitet durch Prof. Christoph Müller von der Justus-Liebig-Universität konnten Besucher eine der erfolgreichsten Werbekampagnen des 19. Jahrhunderts begutachten.
Die Geschichte beginnt mit dem zu bewerbenden Produkt: Liebig hatte ein neues Verfahren entwickelt, das es ermöglichte aus Fleisch ein Pulver zu erzeugen, das dem heutigen Brühwürfel verwandt ist. 1862 kam der Ingenieur Georg Christian Giebert auf Liebig zu, um ihm eine Geschäftsidee zu unterbreiten. Giebert, der beruflich in Brasilien aktiv war, hatte beim Besuch eines Freundes erkannt, dass der Preis für Rindfleisch in Uruguay deutlich unter dem in Europa lag.
Rindfleisch aus Uruguay
Ohne aktive Kühlung war es aber schlichtweg nicht möglich, die lokale Rindfleischüberproduktion nach Europa zu exportieren. Liebigs Verfahren versprach genau das möglich zu machen - und damit einen enormen Gewinn für alle Beteiligten.
Giebert errichtete daraufhin eine Firma in Uruguay, die im Jahr 1864 schon 28 Tonnen des außerordentlich profitablen Pulvers produzieren sollte. Zur Finanzierung und Erweiterung des Projekts gründete er 1865 die Gesellschaft »Liebigs Extract of Meat Company Limited«, die häufig auch unter ihrem Akronym LEMCO auftrat.
Jetzt galt es nur noch, die Käufer in Europa für sich zu gewinnen. Dabei war der Name des Gießener Chemikers Justus Liebig zwar eine große Hilfe, aber nicht genug, um das junge Unternehmen weitläufig bekannt zu machen. Auch die Anzeigen in Illustrierten der 1860/70er Jahre konnten nicht die gewünschte Breitenwirkung entfalten - auch wenn sie einen gewissen Erfolg hatten.
Erst 1872 fand die Firma eine Strategie, die ihren eigenen Ambitionen gerecht wurde: die Sammelbilder. Die bunten Lithographien, die man sich vom Pariser Kaufhaus »Au Bon Marche« abgeguckt hatte und die in Serien von sechs Exemplaren erschienen, übertrafen alle Erwartungen. »Das war ein Novum,« charakterisiert Christoph Müller die Einführung der Sammelbilder. Mit Szenen des Alltags bis hin zu fantastischen Darstellungen gewannen sie so eine begeisterte Anhängerschaft, denen der Fleischsaft häufig nur eine Randnotiz im Sammelfieber war. Teilweise wurden sogar Goldmark für seltene Bilder der frühen Serien eingetauscht: »Da hat man richtig Geld für bezahlt,« beschreibt Müller das Geschehen rund um die bunten Bilder.
Goldmark für frühe Serien
Ob Figuren aus Wagners Opern oder Kulturen fremder Länder: Die farbigen Lithographien umspannten eine Vielzahl verschiedener Themenbereiche und wurden so etwas wie ein »Lexikon des kleinen Mannes«.
Als Zeugnisse des 19. Jahrhunderts geben die Sammelobjekte einen spannenden Einblick darin, was die Menschen faszinierte und bewegte. Doch sie geben auch einen tiefen Einblick in die europäische Gesellschaft ihrer Zeit: Von Anfang an in eine deutsche und eine französische Serie unterschieden, verweisen die Bilder auch auf eine Zerrissenheit innerhalb Europas, die heute nur noch schwer nachzuempfinden ist. Auch würden viele der Bilder, die sich mit fremden Ländern und Kulturen beschäftigen, aus heutiger Sicht als rassistisch bewertet werden. Und mit der Machtergreifung der Nazis 1933 wurden die Motive der deutschen Serie »nationalisiert«. 1940 fanden die einstmals so begehrten Serien kriegsbedingt ihr Ende: »Heil Hitler!« endet bezeichnenderweise der Brief zur Einstellung der Bilder.