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Kein bisschen veraltet und verstaubt

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Merkwürdige Szenen spielen sich derzeit hinter dem Philosophikum ab. Foto: Czernek © Czernek

Die Germanisten der JLU machen Theater: Aktuell proben sie hinter dem Philosophikum das Stück »Spiel vom heiligen Ursus«. Am Samstag ist Premiere.

Gießen. «Gib mir ein You« - diese und noch weitaus wunderlichere Worte sind zur Zeit hinter dem Philosophikum zu hören. Auch die Gewänder und die Sprache der Gruppe, die dort in einem kleinen, etwas versteckten Hain augenscheinlich etwas übt, sind wenig neuzeitlich. Bei genauerem Hinsehen wird klar: Die Theatergruppe des Instituts für Germanistik der Universität ist mitten in der Probenarbeit für ihr neuestes Stück. Unter der Leitung von Prof. Cora Dietl erarbeiten die Germanistikstudenten das spätmittelalterliche Stück »Spiel vom heiligen Ursus« von Hanns Wagner.

Nach drei Jahren Spielpause haben sich rund 16 Studenten und Studentinnen in dem Seminar »Klare gegenreformatorische Statements: Johannes Wagners Heiligenspiele in Solothurn« zusammengefunden, um dieses gegenreformatorische Theaterstück aus dem 16. Jahrhundert auf die Bühne zu bringen.

Schwyzerdütsch

Das Werk greift die Legende vom Heiligen Ursus, dem Patron der Schweizer Stadt Solothurn, auf. Demnach entkam der Heilige gemeinsam mit Victor von Solothurn, einem weiteren Märtyrer, und 66 Soldaten dem Massaker von Agaunum und flüchtete ins Kastell Solothurn. Da er sich jedoch weigerte, seinen christlichen Glauben abzulegen und die römischen Götter anzubeten, wurde er samt seiner Gefährten enthauptet. Hanns Wagner griff diesen Stoff 1581 auf, um darin geschickt gegen die reformatorischen Ansätze von Huldrych Zwingli anzugehen. »Das Spiel vom heiligen Ursus« zählt somit zu den gegenreformatischen Stücken dieser Zeit und ist mit den Jahren in Vergessenheit geraten. Gerade dieser Umstand ist immer wieder Ansporn für die Germanistikprofessorin Dietl, ein solches Werk aufzuführen. Schließlich liegt ihr Arbeitsschwerpunkt im Bereich des Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Im aktuellen Sommersemesters kürzten und bearbeiteten die Studenten den Text und transponierten ihn in eine heute verständliche Sprache. »Das Spiel ist ursprünglich in schwyzerdütsch geschrieben«, erzählte die Professorin. »Doch beim ersten Durchlesen wurde uns schnell klar, dass das so nicht durchführbar und spielbar ist«. Daher wurden die Verse sanft in ein heutiges Hochdeutsch übertragen. Seitdem probt die Gruppe fleißig an der Realisierung. Bei diesem Stück treffen mittlerweile drei Zeitebenen auf einander: Die Legende fußt auf einer Erzählung aus dem römischen Reich um das Jahr 303. Geschrieben wurde es 1581 mit Bezügen zu den damals aktuellen religiösen Konflikten. Dementsprechend wird dies nicht in römischen Kostümen aufgeführt, sondern in Gewändern des 16. Jahrhunderts. Der Zuschauer wiederum muss seinen aktuellen Kontext mit diesen weiteren Zeitebenen in Relation bringen. »Wem das gelingt, der wird erstaunliche Parallelen zu aktuellen Geschehnissen feststellen. Dieses Stück ist alles andere als veraltet und verstaubt«, sagte die Professorin.

Lange Tradition

Neben der Textbearbeitung gehört auch die Organisation der Kostüme und Requisiten dazu. Zwar verfügt das germanistische Seminar mittlerweile über einen beachtlichen Fundus, dennoch müssen die Kostüme und Requisiten immer wieder ergänzt werden. Hierfür war die Kreativität aller gefragt. Theater spielen im Fach Germanistik hat in Gießen schon ein längere Tradition: Zum Universitätsjubiläum 2007 inszenierte die Professorin erstmals ein Stück. Seitdem bietet sie in jedem Semester ein praktisches Seminar zum Thema Schauspiel im Mittelalter an. Die Ergebnisse werden anschließend in Gießen und Umgebung aufgeführt. Alle zwei Jahre werden diese Aufführungen auch im Rahmen der internationalen Tagung der Société internationale pour l’étude du théatre médiéval (SITM) einem breiten Publikum präsentiert. Da die Gesellschaft in diesem Jahr in Prag tagt, wird es eine Aufführung auch in der tschechischen Hauptstadt geben, worauf sich alle Mitspieler besonders freuen. Doch bis dahin wird noch fleißig geprobt und die Texte gelernt, denn ganz ohne Spickzettel geht es noch nicht. Doch bis zur Premiere am Samstag, 2. Juli, 15 Uhr, in Grünberg, ehem. Antoniterkloster, ist auch noch etwas Zeit.

Weitere Aufführungen sind am Donnerstag, 14. Juli, 19.30 Uhr, Gießen, Botanischen Garten und Montag, 18.Juli, 19.45 Uhr, Prag, Karls-Universität.

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Probe in vollen Kostümen. Foto: Czernek © Czernek

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