1. Startseite
  2. Stadt Gießen

»Keine Homodiktatur«

Erstellt:

giloka_1105_queerDSC_122_4c_1
Der non-binäre Künstler Olen Mamai (links) und die Übersetzerin Nix informieren über LGBT-Rechte in der Ukraine. Foto: Zielinski © Zielinski

Der non-binärer Künstler Olen Mamai berichtet über die queere Szene in der Ukraine und seine Erfahrungen mit Rechtsextremismus in der Anschlussverwendung Gießen.

Gießen. »Ich bin froh, bekannte Gesichter zu sehen, weil es nicht einfach ist, über meine traumatischen Erfahrungen zu sprechen.« Mit diesen Worten begann der non-binäre ukrainische Künstler Olen Mamai seinen Vortrag in der Anschlussverwendung Gießen. Im Rahmen der von der Stadtverwaltung unterstützten Aktivitäten unter dem Motto »Diverse Stadt« lud der Ausländerbeirat zu der Veranstaltung »Queere Gemeinschaften in der Ukraine« ein. Olen Mamai hielt seinen Vortrag auf Englisch, bei Rückfragen fasste die Übersetzerin Nix den Inhalt seiner Worte auf Deutsch zusammen.

Dem ukrainischen Künstler war es sehr wichtig, über russische Propaganda aufzuklären, weil er persönlich schon in Deutschland mit dieser konfrontiert wurde. So stellte der Referent fest, dass es zwar rechtsextreme Meinungen in der Ukraine gebe, diese jedoch nicht im Parlament vertreten seien.

Emotional schilderte er im Anschluss daran seine Erfahrungen mit rechtsextremer Gewalt in der Ukraine.

So sei seine Ausstellung zum Thema »Gewalt« 2018 zensiert und der darauffolgende Bericht gewaltsam unterbrochen worden. Mit einem Hammer bewaffnet wurde er von Rechtsextremen, darunter auch Priestern, überfallen, während die Polizei seine Kunst nicht ausreichend geschützt habe.

Olen Mamai widerlegte ebenfalls die in den russischen Staatsmedien verbreitete Auffassung, dass eine sogenannte »Homodiktatur« in der Ukraine herrsche. »Als non-binärer Künstler wünsche ich mir natürlich viel Toleranz, aber die ist nicht immer gegeben.« Um zu zeigen, wie absurd der Vorwurf einer Diktatur der LGBT-Szene sei, führt Mamai den Politiker Oleh Lyashko an, der sich, obwohl seine homosexuelle Orientierung bekannt geworden sei, vehement dagegen wehrt, als Vertreter der LGBT-Community angesehen zu werden.

Interessanterweise fänden die meisten »Pride-Paraden« - Demonstrationen für Rechte von LGBT-Angehörigen - in der Nähe der russischen Grenze und nicht im Westen der Ukraine statt. In der Zeit des Krieges sind diese öffentlichen Demonstrationen laut Mamai jedoch schwierig durchzuführen. Politiker wie der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, würden keine schützende Polizei erübrigen können, weswegen zum Beispiel auf versteckte Demonstrationen in Metros zurückgegriffen werde.

Der Referent zeigte neben einem Video eigener Bilder auch andere Kunst von der queeren Bevölkerung in der Ukraine. Dazu zählte ein Video der beim Eurovision Song Contest 2007 sehr erfolgreichen Drag Queen Verka Serduchka und Empfehlungen verschiedener ukrainischer Instagram-Kanäle, darunter double_cherry.

»Wir machen sehr viel Fortschritte«, stellte der Künstler mit Blick auf Umfragen innerhalb der ukrainischen Bevölkerung fest. Waren 2016 noch 60,4 Prozent der LGBT-Community negativ gesinnt, waren es 2022 nur noch 38,2 Prozent.

Freudig fügte Mamai hinzu, dass eine Geschlechtsumwandlung ebenfalls möglich sei und diese nach psychologischem Gutachten schon mit 14 Jahren beginnen könne. Dass ein langer Weg zu gehen sei, zeige die Gewalt gegen LGBT-Angehörige, die von den Gerichten nicht als Hasskriminalität verfolgt werde.

Eine mögliche positive Folge des Krieges besteht in den Augen des Referenten in dem gewonnenen Respekt für LGBT-Angehörige, die im Krieg sterben und deren Partner nach derzeitigem Recht kein Kind adoptieren können.

Olen Mamai beendete den Vortrag mit einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. »Wir feiern noch immer Geburtstage in der Ukraine«, meinte er und empfahl eine App namens KyivPride, die Orte mit LGBT-freundlichen Bewohnern in der Ukraine vermerkt.

Auch interessant