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Keine Milde für zwei Raser

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Amtsgericht verhängt hohe Geldstrafe gegen zwei Cousins, die mit mehr als 100 km/h über den Anlagenring bretterten und dabei von einer Zivilstreife erwischt wurden.

Gießen. Gießen. »Solche Videos kann man zu jeder beliebigen Zeit in jeder deutschen Stadt drehen«, meinte Rechtsanwalt Romanus Schlemm, als er für seinen Mandanten einen Freispruch forderte. In der Tat zeigt die mit einem Smartphone aufgenommene Sequenz Szenen, die man auch in Gießen mittlerweile regelmäßig erleben kann: Zwei hochmotorige Fahrzeuge brettern mit mehr als hundert Stundenkilometern (km/h) über den Anlagenring in Richtung Elefantenklo. Dumm nur für die beiden Cousins aus Aßlar - die sich am Montag vor dem Amtsgericht Gießen wegen des Vorwurfs verantworten mussten, ein illegales Autorennen veranstaltet zu haben -, dass das sie belastende Video von einem Polizisten aufgenommen worden war.

Der Beamte war am 25. September vergangenen Jahres mit einem Kollegen in einem Zivilfahrzeug auf der Rückfahrt von einem Einsatz in Lollar, als er in der Marburger Straße in Höhe der Ampel vor der Aral-Tankstelle Zeuge eines kurzen Gesprächs der beiden jungen Männer wurde. Der eine von ihnen saß an jenem Samstagabend in einem PS-starken BMW (geleast), der andere in einem Chrysler (von Mami geliehen), der kaum weniger Pferdchen unter der Haube hatte.

Rote Ampeln überfahren

Mit über 70 km/h fuhren beide dann in die Stadt, wobei der Chrysler-Fahrer über zwei rote Ampeln fuhr, die sein flotterer Cousin noch bei Dunkelgelb passieren konnte.

»Wir hatten große Schwierigkeiten, nicht den Anschluss zu verlieren«, sagte der als Zeuge befragte Polizist, der Teile der Verfolgungsjagd mit seinem Handy dokumentiert hat. »70, 80, 90« meldet er in dem Video den Stand der eigenen Beschleunigung, die aber nicht verhindern kann, dass der Abstand zu den beiden Boliden größer wird. Weil der Anlagenring aber nicht der Nürburgring ist, konnte die Zivilstreife die Fühlung halten und die beiden Raser schließlich in der Neuen Bäue stellen, wo sie offenbar etwas essen wollten.

Seit diesem Moment und nunmehr also seit zehn Monaten sind die beiden Vettern wieder Fußgänger, was Rechtsbeistand Stefan Adler als »ganz erhebliche Einschränkung« seines Mandanten wertete, der zudem seit September 2021 die Leasing-Raten für ein Fahrzeug zahlen müsse, das er gar nicht nutzen könne. Beide Rechtsanwälte bestritten, dass sich ihre Mandanten ein Rennen in der Innenstadt geliefert hätten und forderten daher Freisprüche, zumal auch die eingeräumten Regelverstöße nicht einmal zu einem Punkt in Flensburg führen würden. Das sah Strafrichterin Antje Kaufmann freilich ganz anders. »Sie können froh sein, dass Sie nicht nebenan vor einem Schwurgericht stehen, weil niemand bei Ihrer Fahrt verletzt worden ist«, hielt sie den beiden Angeklagten vor. Was sich da in der Gießener Innenstadt abgespielt habe und was von den beiden Anwälten leider verharmlost worden sei, war für Kaufmann ein illegales Autorennen. Solche Rennen fänden leider Gottes immer wieder statt. Daher sei es wichtig, hier ein deutliches Signal zu setzen.

Dieses Signal bedeutet eine Geldstrafe von 5250 Euro (75 Tagessätze zu 70 Euro) für den BMW-Lenker und eine Strafe von 6000 Euro (80 Tagessätze zu 75 Euro) für den Chrysler-Fahrer. Den Führerschein können die Männer frühestens in drei Monaten neu beantragen, zudem müssen sie die Kosten des Verfahrens tragen, sollten sie nicht binnen einer Woche Berufung gegen das Urteil einlegen.

Antje Kaufmann sagte noch, dass sie mit dem Gedanken gespielt habe, sogar eine Bewährungsstrafe gegen die Angeklagten zu verhängen. Letztlich habe sie aber davon abgesehen, weil beide sich bislang noch nichts haben zuschulden kommen lassen und auch bei der Polizeikontrolle nicht renitent geworden seien. Am 25. September 2021 hatten sie eine Aussage ohne einen Anwalt verweigert. »Das war auch besser so«, meinte Kaufmann.

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