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»Keine neue Lust am Krieg«

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Von: Karsten Zipp

Macht uns in schwierigen Zeiten Mut: die Gießener Professorin Athina Lexutt.
Macht uns in schwierigen Zeiten Mut: die Gießener Professorin Athina Lexutt. © Fotostube/M.Jelinski

So viele Probleme und Krisen: Was kann in dieser Zeit überhaupt noch Mut machen? Dieser Frage widmen sich Gießener Persönlichkeiten in unserer neuen Serie - zum Auftakt Prof. Athina Lexutt.

Gießen. »Kannst Du mir etwas sagen, was irgendwie Mut macht?« Was für eine Frage! Was für eine Frage nach einem Jahr, das von Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie und Klimakatastrophe geprägt war. Was für eine gute, schwere, ja schier nicht zu beantwortende Frage, die mir vor ein paar Wochen eine gute Freundin stellte. Und ich muss gestehen, mir fiel außer einem Blick auf längst vergangene Zeiten, als die Menschen noch dachten, ihre Welt würde untergehen, tatsächlich nichts ein. Nichts, was Mut macht, dass all die Probleme der Menschheit sich lösen lassen. Also haben wir bei Experten nachgefragt und um Hilfe gebeten. Schreiben Sie uns etwas, was Mut für die Zukunft macht! Und tatsächlich haben sich mehrere heimische Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur an diesem - nennen wir es - Gedankenexperiment beteiligt.

Unsere neue Serie »Was uns Mut macht« beginnen wir heute mit dem Beitrag der Gießener Theologie-Professorin Athina Lexutt. In loser Folge werden in den kommenden Wochen unter anderem Prof. Claus Leggewie und Theaterintendantin Simone Sterr unsere Fragen beantworten.

1. Warum endet der Ukraine-Krieg nicht in einer Katastrophe?

Die Ukrainer sind von zweierlei getragen: einem ungeheuren Willen, sich nicht kampflos zu beugen, und von einer Staatengemeinschaft, die sie auf vielerlei Weise unterstützt. Niemand lässt sich vom russischen Säbelrasseln ungebührlich beeindrucken, und ich finde es wirklich erstaunlich, wie vergleichsweise gelassen, aber klar und deutlich in den Worten und Ansagen man auf Drohgebärden und Unrechtstaten reagiert.

Das sind Momente, mit denen ein Aggressor in der Regel nicht rechnet und nicht richtig umgehen kann, die umgekehrt daher Manches einfach verpuffen lassen. Das scheint mir neu in der langen Geschichte so vieler Kriege zu sein: dass Provokationen weniger verfangen als erhofft und eher den Provokateur beschämen als den Provozierten zu unüberlegten und vorschnellen Taten verführen.

Deshalb wird dieser Krieg zwar weiterhin viel Leid bringen - was schlimm genug ist! - und die Politik zeitenwendig verändern. Insofern ist er schon eine buchstäbliche Katastrophe (griechisch: Umwendung). Aber er wird keine neue Lust am Krieg entfachen und die Politik der Zukunft angemessen zwischen Vertrauen und Vorsicht anstatt bei political correctness und Selbstinteresse allein ansiedeln. Das wird sie schwieriger, aber auch freier und erfinderischer machen. Das macht Mut!

2. Warum wird Putin insgesamt politisch scheitern?

Putin hat sich wohl kaum vorgestellt, dass sich die Kriegshandlung in der Ukraine so in die Länge zieht. Das untergräbt seine Autorität im eigenen Land, je länger der Krieg dauert und je stärker möglicherweise die Sanktionen das eigene Volk treffen. Zwar wird es auch auf lange Sicht genug Menschen geben, die ihm treu zur Seite stehen und seine Linie notfalls auch ohne ihn fortzuführen bereit und willig sind.

Aber der Rückhalt für diese Art der Aggressionspolitik wird dünner werden, je aufgeklärter die Menschen werden. International hat er diesen Rückhalt bis auf einige Ausnahmen schon lange nicht mehr und ihn endgültig durch den Angriffskrieg und seine unnachgiebige Haltung verspielt. Es wird allerdings viel darauf ankommen, ob a) die westliche Staatengemeinschaft es verstehen wird, nicht das gesamte russische Volk gewissermaßen in Sippenhaft zu nehmen und weiterhin auf Diplomatie zu setzen, und ob es b) gelingen wird, fest verankerte Meistererzählungen hüben wie drüben zu dekonstruieren und auf diesem Wege Aufklärung und Völkerverständigung voranzutreiben. Hierbei setze ich viel auf Bildung und ihre Einrichtungen. Dann wird’s möglich - und das macht Mut!

3. Warum wird die Ära der Rechtspopulisten in aller Welt nur von kurzer Dauer sein?

Es wird sie sicher immer geben: die Unverbesserlichen; und die, welche diese Unverbesserlichen hinter sich scharen, obwohl sie selbst es sehr wohl besser wissen, aber es sich so besser polarisieren lässt; Polarisation wiederum führt dazu, mit Stimmungsmache Macht zu generieren. Aber auch sie wird es geben: die Wächter:innen und Mahner:innen, die auf die Straße gehen und für das Recht und gegen Rechts demonstrieren und gegen populistische Verdummungs- und Verschwörungsstrategien Bildung setzen. Sie werden sicher leiser sein, wie immer, aber im Gegensatz zu den Lauten wird ihre Stimme auch nicht heiser werden und man wird sie verstehen können; sie haben Argumente und keine Parolen. Schulen und Universitäten werden weiterhin dafür sorgen, dass die abgehackten Zwei-Wörter-Schreie der Populisten als das entlarvt werden, was sie sind: gebrochene und erbrochene Schnipsel all dessen, was dem Humanum wertvoll ist; und sie werden aus den Leisen Mutige machen, die aufstehen gegen Fundamentalismus und Ungerechtigkeit. Mut hat in allen Diktaturen Menschen das Überleben gesichert. Das gilt auch heute!

4. Warum hat die Demokratie eine Zukunft?

Sie hält sich schon sehr lange und ist nicht totzukriegen. Ihr Ende wurde immer mal wieder vorausgesagt, und manche haben auch viel dafür getan, sie in Misskredit zu bringen oder durch andere Staatsformen zu ersetzen. Aber solange Menschen die Freiheit haben, dafür zu demonstrieren, dass sie mehr Freiheit haben möchten; solange Menschen frei wählen dürfen; solange Menschen ihre Meinung ohne Gefahr für Leib und Leben und ohne jedwede Repressalien äußern dürfen; solange Menschen ihre Grundrechte einfordern dürfen, wenn sie diese gefährdet sehen; solange es Bildungseinrichtungen gibt, die dafür sorgen, dass Menschen sprach-, urteils- und handlungsfähig werden; solange Institutionen und Organisationen nicht gleichgeschaltet werden und es Möglichkeiten en masse gibt, sich umfassend zu informieren - solange werden auch die größten Kritiker und Skeptiker zugeben müssen, dass sie sich diese Kritik und diese Skepsis nur in einer Demokratie erlauben dürfen. Und dass deshalb die Demokratie immer noch die beste aller denkbaren Staatsformen ist, die nach allen Kräften zu unterstützen ist. Gerade dort, wo sie ihre Mängel offenbart. Die Demokratie erzieht zu Mut!

5. Was werden die Menschen Hilfreiches aus der Corona-Zeit lernen?

Ich finde es ausgesprochen hilfreich, dass die Menschen gesehen haben, dass ihr Leben gefährdet und endlich ist, nicht nur aus Spaß und Party besteht, sondern in Solidarität und Rücksichtnahme sinnvoll wird. Dass es die bundesdeutsche Gesellschaft aus Sorge um die Alten, Kranken und besonders Gefährdeten - wenn auch nicht immer ganz freiwillig und nicht ganz ohne Protest - geschafft hat, sich selbst zurückzunehmen, ist etwas, was hoffentlich auch in Zukunft zeigt, dass eine Gemeinschaft nur als Solidargemeinschaft und als solche funktioniert, die Schwäche und Einschränkungen integriert.

Dass die Würde des Menschen nicht von seinem Funktionieren abhängt, sondern seinen Wert in sich hat (als Theologin spreche ich davon, dass sie in der Geschöpflichkeit liegt), ist an manchen Stellen und Gott sei Dank wieder sichtbar geworden. Gelernt haben die Menschen hoffentlich auch, wie wichtig wissenschaftliches Wollen und Können sind (und die Politik, dass jede Investition in die Wissenschaften lohnt - auch in die Geisteswissenschaften, die zum Beispiel die ethischen Herausforderungen beantworten helfen und wichtige Perspektiven einbringen), dass zur Wissenschaft aber auch trial and error gehören und deshalb Geduld und Aufeinanderhören sowie der Mut, Fehler zu machen, hohe Güter sind.

6. Warum werden wir die Klimakatastrophe abwenden?

Da bin ich realistisch: Wir werden vielleicht die Katastrophe nicht erleben, aber wir werden die Klimaveränderungen auch mit viel good will nicht abwenden, höchstens aufhalten und abfedern und im besten Fall die Folgen gestalten lernen.

Zu lange sind Menschen aus unterschiedlichen Gründen (Naivität, Macht- und Gewinnsucht, Unbesonnenheit, Kurzsichtigkeit) sehenden oder auch nicht sehenden Auges in den Klimawandel spaziert, als dass jetzt ein Gewaltmarsch von Heute auf Morgen alles ändern würde. Und zu wenig beteiligen sich große und einflussreiche Nationen am Erreichen der Klimaziele.

Gleichwohl - und das macht Mut! - ist zu beobachten, dass sich auf kleineren Ebenen ein großes Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung entwickelt und zu einem doch nicht zu übersehenden, breitflächigeren Umdenken geführt hat. Unverpacktläden, Kauf von Bioprodukten trotz höherer Preise, Reduzierung des Fleischkonsums, Energiersparkonzepte, Fahrrad statt Auto, deutlich gesteigerte Sensibilität für die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit usw. - das sind gute Schritte in die richtige Richtung, die gerade und erfreulicherweise von der jungen Generation intensiv beachtet und gegangen werden. Diese Mutigen machen mir Mut!

Die evangelische Kirchenhistorikern Athina Lexutt wurde am 3. Februar 1966 in Worms geboren. Nach dem Abitur am Anno-Gymnasium in Siegburg 1985 studierte Lexutt von 1985 bis 1991 evangelische Theologie, Germanistik, Philosophie und Latein an der Universität Bonn. Nach Abschluss des Studiums der Theologie 1991 mit dem Grad des Magisters und der Promotion 1994 in Bonn, war sie von 1994 bis 1995 wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte. Im Anschluss arbeitete Lexutt bis 2001 als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte und zugleich als Studieninspektorin am Evangelischen Theologischen Stift der Universität Bonn. Nach der Ordination 2000 zur Prädikantin in der Evangelischen Kirche im Rheinland folgte im gleichen Jahr die Habilitation. Seit 2002 hat sie die Professur für Kirchengeschichte an der Universität Gießen inne.

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