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Keine Strafe für Tierschützer

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Von: Ingo Berghöfer

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Mit jeder Menge Kuscheltieren vor dem Amtsgericht unterstützen Tierschützer einen ihrer Mitstreiter, der wegen Nötigung und Hausfriedensbruch angeklagt war. Foto: Berghöfer © Berghöfer

Das Verfahren gegen einen Tierschutz-Aktivisten, der sich an eine Labortür kettete, wurde in Gießen wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Gießen. Fast zwei Jahre ward sie nicht mehr gesehen, die Kuscheltier-Armee, die im April den Zugang zum Biomedizinischen Forschungszentrum am Campus Seltersberg blockiert hatte (der Anzeiger berichtete). Am Mittwochmorgen machten sich die Tiere dann vor dem Amtsgericht Gießen breit. Dort wurde gegen einen Tierschutzaktivisten verhandelt, der sich damals ans Eingangstor des Forschungszentrums gekettet, damit den Zugang blockiert und somit nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Straftatbestand der Nötigung begangen hatte.

Rund 20 Aktivisten wollten mit den mehreren hundert Stofftieren den Angeklagten unterstützen und einmal mehr gegen das »himmelschreiende Unrecht« der Tierversuche protestieren. »Die Repressionen treffen einen von uns, aber gemeint sind wir alle«, betonte Aktivistin Sandra, die mit ihren Mitstreitern zu einer »solidarischen Prozessbeobachtung« gekommen war.

Zuvor zitierte der Physiker Dr. Marc Strickert aus wissenschaftlichen Arbeiten, in denen detailliert beschrieben wird, wie Tiere für den Erkenntnisgewinn malträtiert werden - und er tat gut daran, empfindsamere Gemüter vorab zu warnen. Anschließend stellte er die Sinnhaftigkeit von Tierversuchen infrage, da man gleichwertige und bessere Ergebnisse heute in reinen Computersimulationen oder mit Gewebe aus Zellkulturen erzielen könne.

Anfangs gereizt

Auch die Polizei war wieder vor Ort, wenn auch in deutlich geringerer Mannschaftsstärke als im April 2021. Damals war eine ganze Hundertschaft zum Seltersberg ausgerückt. Diesmal sorgten lediglich vier Beamte dafür, dass die Stofftiere nicht die Eingänge blockierten, und sie entfernten auch schon mal ein am falschen Ort aufgehängtes Transparent.

Anfangs eher gereizt, im Verlauf der kurzen Verhandlung aber immer harmonischer gestaltete sich das Strafverfahren. Während sich Staatsanwalt Alexander Hahn und einer der beiden Rechtsbeistände aus dem Freundeskreis des Angeklagten zunächst gegenseitig Sachkenntnis und Kompetenz abgesprochen hatten, ließ Richter Christoph Keller dann doch den Rechtsbeistand zum Verfahren zu. Der hatte zwar nicht Jura studiert, war aber aufgrund seines »Selbststudiums« und gemäß Selbstauskunft »in diesen Fragen recht bewandert«.

Diese Kenntnisse musste er aber gar nicht erst unter Beweis stellen, da der Staatsanwalt nach der Verlesung der Anklage selbst die Einstellung des Verfahrens anbot, weil die Schuld des Täters als gering anzusehen sei, kein öffentliches Interesse an der Verfolgung bestehe und der Angeklagte auch noch nicht vorbestraft sei. Dessen Verteidiger waren zuvor mit einem Antrag, auf den Verzicht von Höflichkeitsfloskeln wie »Sehr geehrter Herr« oder »hochachtungsvoll« zu verzichten, bei Keller abgeblitzt; einen Antrag auf Führung des Prozesses in geschlechtergerechter Sprache zogen sie zurück und der Angeklagte nutzte seine Aussage in eigener Sache zu einer umfänglichen Schilderung des Leids von Labortieren.

Bei der Verfahrenseinstellung im laufenden Verfahren müssen Richter und Verteidigung zustimmen. Darum beantragten der Angeklagte und seine Rechtsbeistände eine kurze Sitzungsunterbrechung. In dieser entspann sich ein Dialog zwischen Hahn und den Tierschutzgegnern im Publikum, wie er vielfach und ähnlich in diesen Tagen über die Sinnhaftigkeit der spektakulären Aktionen von Klimaaktivisten geführt wird. Das Ziel der Abschaffung von Tierversuchen könne er ja noch teilen und auch zu 100 Prozent unterstützen, sagte Hahn, allerdings hätte der Angeklagte mit dem Anketten ans Tor des Forschungszentrums die Grenze zum Strafbaren überschritten. Die Aktion mit den Stofftieren lobte er dagegen als originell. Hätten es die Demonstranten mit einer Sitzblockade vor dem Labor belassen, dann wäre man noch im Bereich einer Ordnungswidrigkeit geblieben.

»Ganz süß«

Alexander Hahn gab auch zu bedenken, dass die Blockade von ganz normalen Bürgern in ihrem Alltagsleben nur dazu führe, dass eine positive Grundstimmung in der Bevölkerung für die Anliegen der Tierschützer kippen könnte. »Ich finde es ja auch ganz süß von Ihnen, dass Sie uns loben«, meinte eine Aktivistin, »aber wir stehen seit Jahren alle zwei Wochen vor diesem Laden, ohne dass sich etwas geändert hat. Das nützt ja alles nichts«. Kurz vor Ende der Sitzungsunterbrechung einigte man sich dann zumindest soweit, dass das Problem der Tierversuche letzten Endes nur von den politischen Entscheidungsträgern gelöst werden könnte.

Und so wurde das Strafverfahren wegen Geringfügigkeit und weil der Angeklagte bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, eingestellt. Die Kosten trägt die Staatskasse. Eines aber gab Richter Keller dem Aktivisten noch mit auf den Weg. Solch eine Aktion wie das Anketten an eine Tür auf einem Gelände wie einem Universitätslabor solle er künftig besser vermeiden, denn: »Beim nächsten Mal wird’s teuer.«

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