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Kind einer schwierigen Zeit

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Den Kinderbuch-Klassiker »Räuber Hotzenplotz« kennt vermutlich jeder. Das Leben von Autor Otfried Preußler hat nun der Gießener Germanist Prof. Carsten Gansel genauer unter die Lupe genommen. © dpa/Marijan Murat

Professor Carsten Gansel, Germanist an der JLU Gießen, legt nach umfänglichen Recherchen ein Buch zur Lebensgeschichte des bekannten Kinder- und Jugendbuchautoren Otfried Preußler vor

Gießen (red). Als Spurensucher und Manuskriptfinder hat sich der Gießener Germanist Prof. Carsten Gansel international einen Namen gemacht. Bei seinen intensiven Recherchen in russischen Militärarchiven war er unter anderem auch auf die Kriegsgefangenenakte von Otfried Preußler gestoßen. Da der renommierte Autor ihm lange bekannt war, war ein Anstoß für eine spannende biografische Spurensuche gegeben - diesmal auch im Privatarchiv Preußlers. Das Ergebnis dürfte nicht nur die Literaturszene, sondern Leser der Werke des beliebten Kinder- und Jugendbuchautors freuen: Gansel macht Otfried Preußlers Erlebnisse in seinem neuen Buch »Kind einer schwierigen Zeit: Otfried Preußlers frühe Jahre« erstmals zusammenhängend einem größeren Publikum zugänglich.

Biografisch

Otfried Preußlers »Krabat« ist eines der beliebtesten und meistgelesenen deutschen Jugendbücher - eine Geschichte über Macht, ihre Verlockungen und ihren Missbrauch. Dass der Autor darin eigene Erfahrungen vom Jugendlichen im nationalsozialistisch regierten Sudetenland, aus der Zeit des Krieges und der russischen Kriegsgefangenschaft verarbeitet, in der er literarische Texte unter extremen Bedingungen schreibt, wissen jedoch die wenigsten. Die frühen Jahre des großen Erzählers, der unmittelbar nach dem Abitur 1942 zur Wehrmacht eingezogen wurde, lagen weitgehend im Dunkeln. Gansel hat verschiedene dieser wichtigen Texte gefunden, wissenschaftlich eingeordnet und interpretiert.

Ein eigenes Romanprojekt zur Verarbeitung dieser teils traumatischen Jahre hatte Otfried Preußler begonnen, aber nicht beendet. In der Autobiographie »Verlorene Jahre?«, die bislang nicht bekannt war, findet er Wege, um von Krieg und Gefangenschaft zu erzählen. Fast parabelhaft, so heißt es in der Verlagsmitteilung, habe er seine Erfahrungen und Erkenntnisse in Kunst verwandelt.

Der Germanistikprofessor entdeckte bislang unbekannte Dokumente, Texte und Fotos aus Kriegsgefangenenlagern und erhielt zudem die Gelegenheit, im Privatarchiv weitere Funde zu sichten und unveröffentlichte Texte Preußlers auszuwerten. Er zeigt die prägende Rolle von Otfried Preußlers Vater Josef Syrowatka (der seinen Namen nach ausgeprägter Ahnenforschung zu Preußler änderte) und stellt dar, wie wichtig die Geschichten von Preußlers Großmutter Dora für das spätere Schreiben ihres Enkels wurden.

Der Gießener Literaturwissenschaftler geht zudem ein auf Otfried Preußlers 1942 erschienene erste Gedichte sowie dessen Jugendbuch »Erntelager Geyer«, dem von einigen Kritikern zu Unrecht ideologische Verklärung vorgeworfen wurde, wie der Literaturexperte nachweist. Prof. Carsten Gansel, Jahrgang 1955, ist seit 1995 Professor für Neuere deutsche Literatur- und Germanistische Mediendidaktik an der JLU und beweist immer wieder einen besonderen literarischen Spürsinn. 2016 hat der Gießener mit dem von ihm herausgegebenen Band »Durchbruch bei Stalingrad« national und international für Furore gesorgt. Es war ihm gelungen, die 1949 vom russischen Geheimdienst konfiszierte Urfassung des großen Antikriegsromans von Heinrich Gerlach in russischen Archiven wiederzufinden.

Ein Jahr später gab er Heinrich Gerlachs »Odyssee in Rot« heraus. Im Sommer 2016 erschien die Originalfassung des Weltbestsellers »Kleiner Mann - was nun?« von Hans Fallada mit einem Nachwort von Prof. Gansel. An der Entdeckung des Originalmanuskripts hatte der Gießener maßgeblichen Anteil, gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für Germanistik der JLU hatte er die handschriftliche Urfassung des Weltbestsellers entziffert. Schließlich spürte Professor Gansel den verschollenen Gesellschaftsroman »Wir selbst« von Gerhard Sawatzky auf und machte das Epos im Frühjahr 2020 erstmals der breiten Öffentlichkeit zugänglich.

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