Klang der Leidensgeschichte

Lich. Ein feines kleines Orgelkonzert und eine Rezitation erfreuten die Besucher der evangelischen Marienstiftskirche am Karfreitag. Pfarrer Alexander Eisenreich und Kantor Christof Becker gelang eine kunstvolle und sinnfällige Verschmelzung von geistlichen und musikalischen Inhalten, hier mit Worten aus den vier Evangelien und Orgelwerken von Johann Sebastian Bach.
Den passenden musikalischen Rahmen des etwa einstündigen, sehr gut besuchten Programms bildeten Bachs Präludium und Fuge in h-Moll. Die Worte aus den vier Evangelien schufen in den Texten, aber auch in der Musik, einen Zugang zur Leidensgeschichte Christi und auch zur allgemeinen Weltlage mit großen Bedrohungen.
Den musikalischen Beginn bildete das transparent und vielfarbig musizierte, leidenschaftlich verzierte Präludium in h-Moll BWV 544, es bot große Gefühle und tiefe innere Beteiligung des religiösen Komponisten. Eisenreich begann mit dem berühmten »Vater, vergib ihnen«. Insgesamt entfaltete sich ein vertrautes österliches Szenarium, die überwiegende Kürze der Zitate erleichterte den Zugang.
Im Repertoire fanden sich Werke aus dem »Orgelbüchlein«, Leipziger Choräle und die »Clavierübung III«, manche davon (»Da Jesu an dem Kreuze stund«) sehr kurz gehalten. Das erste Glanzlicht in einer Reihe von exzellenten Umsetzungen war »O Mensch beweis dein Sünde groß« (Orgelbüchlein). Das erklang ganz ruhig, ans Tieftraurige grenzend und in einem anmutigen und seelenvollen Duktus.
Aufregend und in intensiven Farben leuchtend musizierte Becker »Aus tiefer Not schrei ich zu dir« (Clavierübung III). Das Stück ähnelte in der Tat einem Aufschrei, der ohne jede Zurückhaltung erklang, alle Not strömte heraus. Becker setzte diverse einleuchtende Effekte ein, ein durchgehender, markanter Aspekt des Konzerts. Überhaupt versah er jedes Werk mit einen etwas anderen Ansatz, einer neuen Dynamik, insgesamt einer frischen Auffassung. Das bewirkte eine bemerkenswerte Farbigkeit und regte an, sich auf die Inhalte der geistlichen Kompositionen einzulassen.
»Schmücke dich o liebe Seele« aus den Leipziger Chorälen erklang dann eher Ruhe einflößend und mit einem wunderschönen Abschluss. »Vor deinen Thron tret ich hiermit« erklang im klassischen Stil, wie schreitend musiziert und eher nachdenklich. Becker verlieh dem Werk ein dunkles Strahlen; eindrucksvoll und ästhetisch: ein Zugang zur Seele.
Der Triosonatensatz »Andante« in h-Moll wurde ebenfalls mit exzellentem Timing realisiert. Schließlich das klassische Finale mit der Fuge h-Moll: lebhafter, voller, flotter im Tempo. Der Klang nun heller, leuchtend und mit vielen aufblitzenden Lichtern. Das war intensiver, verdichteter, vor der souveränen Vorbereitung des finalen Abschlusses. Es war ein Konzert größter Stimmigkeit.
Erneut steht Musik von Johann Sebastian Bach am Sonntag, 23. April , (18 Uhr) in Lich auf dem Programm. Im Gemeindesaal der Marienstiftskirche ist dann der Pianist Wigbert Traxler zu Gast, Lehrbeauftragter an der Frankfurter Hochschule für Musik. In seinem Klavier-Recital setzt er bedeutende Werke Bachs in Form von Originalkompositionen und (romantischen) Bearbeitungen in Beziehung. Dazu zählt etwa die Toccata d-moll in der virtuosen Einrichtung von Max Reger. Eine Kollekte wird erbeten. (red)