Klare Botschaft: »Uffpasse«

Als Sicherheitsberaterin für Senioren erklärt Heidi Schnatz, wie sich ältere Menschen in Gießen vor den perfiden Maschen von Betrügern schützen können. Denn die gehen sehr raffiniert vor.
Gießen. »Mir passiert so etwas nicht, ich merke das auf jeden Fall«: Solche Antworten hört Heidi Schnatz häufiger, wenn sie vor Langfingern und hinterlistigen Betrügereien warnt. Auch sie hat das selbst lange gedacht - bis ihr eines Tages das Portemonnaie aus der Handtasche stibitzt wird und der Diebstahl erst auffällt, als sie einen Einkauf bezahlen will. Geld, Führerschein, Papiere, alles weg. »Ich war so zittrig, dass ich mich setzen musste«, erzählt die 78-Jährige. Eine Wiederholung sei zwar nie auszuschließen, aber die Gießenerin ist viel vorsichtiger geworden. Und nach einer Schulung gibt sie als Sicherheitsberaterin für Seniorinnen und Senioren ihr Wissen seit inzwischen sieben Jahren auch weiter. Als »Uffpasse-Heidi« hat sich die agile Rentnerin längst einen Namen gemacht.
In den Mitteilungen der Polizei tauchen sie regelmäßig auf, die Meldungen, dass mit perfiden Maschen versucht wird, vor allem ältere Bürgerinnen und Bürger um ihr Geld zu prellen. Leider nicht selten mit Erfolg. »Immer wieder werden Gutmütigkeit und Unkenntnis der Generation 60plus von dreisten Tätern ausgenutzt«, betont Angelika Nailor, Geschäftsführerin von »Ehrenamt Gießen e.V.«. Und weil der Anteil der Älteren wächst und somit die Zahl potenzieller Opfer, hat der Verein gemeinsam mit der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle im Polizeipräsidium Mittelhessen vor zehn Jahren das Projekt »Sicherheitsberater für Senioren« in Stadt und Landkreis Gießen initiiert. Es handele sich dabei um einen »wichtigen Baustein« in der Prävention, denn die ehrenamtlich Tätigen »kennen die Probleme ihrer Altersgruppe, sprechen quasi die gleiche Sprache und stehen ihrem Umfeld als kompetente Partner zur Verfügung«, erklärt Polizeisprecher Jörg Reinemer.
Aufkleber für Telefon und Haustür
Die Frauen und Männer, die sich bisher haben schulen lassen, halten zum Beispiel Vorträge bei Veranstaltungen des VdK oder der Arbeiterwohlfahrt, in Vereinen, Seniorenzentren und bei Messen, sind ebenso im Rahmen von Stadtfest, »Sport in der City« oder »Golden Oldies« präsent. Aber auch der Austausch im Freundes- und Familienkreis könne bereits hilfreich sein. Meist dauere es gar nicht lange und es würden von den Zuhörerinnen und Zuhörern eigene negative Erfahrungen geschildert, berichtet Heidi Schnatz. »Andere wollen wiederum nur ungern darüber reden, weil sie sich schämen.« Mit flotten Sprüchen und hessischem Dialekt bemühe sie sich daher, die Stimmung ein wenig aufzulockern. »Uffpasse« ist hier zu ihrem Motto geworden, für das sogar passende Aufkleber angefertigt worden sind, die etwa aufs Telefon oder von innen an die Haustür gepappt werden können - als Erinnerungsstütze, um auf der Hut zu sein. Ihr Wunsch wäre es, den Appell zusätzlich auf T-Shirts und Busse zu drucken.
»Ich möchte niemandem Angst einjagen und auch nicht dafür sorgen, dass sich keiner mehr traut, die eigene Wohnung zu verlassen. Im Gegenteil: Die Leute sollen rausgehen, aber sie sollen eben uffpasse«, unterstreicht Heidi Schnatz. Und fügt lachend hinzu, dass sie als schon seit vielen Jahren verwitwete Frau selbst stets sehr wachsam sei, »damit ich nicht auf Heiratsschwindler reinfalle«.
Durch Aufklärung wolle sie andere Senioren ebenfalls dafür sensibilisieren, brenzlige Situationen richtig einzuschätzen, sich vor fiesen Tricks zu schützen, Betrüger zu entlarven oder ihnen zumindest einen Schritt voraus zu sein. Ob nun Enkeltrick, Gewinnspielversprechen, falsche Amtspersonen oder unechte Handwerker, Handtaschenraub oder das Vortäuschen von Notlagen - zu allem hat die 78-Jährige nützliche Tipps und Telefonnummern parat. Nur zur Internetkriminalität könne sie keine Auskunft erteilen.
Nicht auf Gespräche mit Fremden einlassen
Für den Bummel über den Weihnachtsmarkt etwa sollten ältere Menschen nur so viel Geld einstecken, wie sie tatsächlich benötigen. Entscheidend sei generell, sich von Fremden - an der Haustür, am Telefon oder unterwegs - nicht in Gespräche verwickeln zu lassen und sie stattdessen rigoros abzuwimmeln. Das falle nicht immer leicht, weiß Schnatz, weil sich Seniorinnen und Senioren, insbesondere wenn sie einsam sind, für gewöhnlich sehr über Besuch oder einen Anruf freuen. »Aber die Betrüger sind da sehr raffiniert.«
Außerdem empfiehlt die engagierte Gießenerin, jederzeit - sei es beim Geldabheben oder beim Reisen mit Gepäck - den »Rundumblick zu haben«. Wie schnell es passiert, dass etwas abhanden kommt, demonstriert sie bisweilen selbst während ihrer Vorträge: »Manchmal erlaube ich mir den Spaß und nehme eine Handtasche mit, wenn jemand sie außer Acht lässt.«
Die Realität ist natürlich ernster, zumal die echten Verbrecher ihre Beute nicht gleich wieder freiwillig zurückgeben. Vielmehr hecken sie ständig neue Methoden aus. »Während vor einigen Jahren überwiegend Anrufe von ›falschen Microsoft-Mitarbeitern‹ verzeichnet wurden, ist aktuell der WhatsApp-Betrug vermehrt feststellbar. Hier wird suggeriert, dass ein naher Angehöriger (Kind, Enkel) sein Handy verloren hat und umgehend eine Rechnung per Überweisung beglichen werden muss. Die ahnungslosen Opfer führen die Überweisungen meistens aus und treten erst danach mit ihrem Angehörigen in Kontakt«, berichtet Jörg Reinemer. Der Einstieg in den Chat laute in der Regel: »Hallo Mama, hallo Papa, mein Handy ist kaputt, das ist meine neue Handynummer...«
Verbreitet sei momentan auch die Variante des Schockanrufs mit der Behauptung, ein Angehöriger habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht. Ein vermeintlicher Staatsanwalt oder Polizist fordert dann, dass eine Kaution zu stellen sei, um eine Haftstrafe des nahen Verwandten abzuwenden. »Obwohl die gesamte Schilderung doch eigentlich sehr surreal erscheint, übergeben die Opfer Bargeld, Schmuck oder Gold an den vom ›Staatsanwalt‹ entsendeten Abholer«, so der Polizeisprecher. Die Betroffenen seien »wie in einem Tunnel« und würden von den professionellen und hochkriminell agierenden Täterinnen und Tätern geschickt in diesem Tunnel gehalten. Hinzu komme, dass Senioren den staatlichen Autoritäten grundsätzlich mehr vertrauten und eher deren - in diesen Fällen - falsche Anweisungen befolgen. Bei Waren- und Anlagebetrug seien auch Menschen unter 60 Jahren die Adressaten.
Zu 99 Prozent scheiterten die Betrüger zwar, »aber wenn sie nur einen Treffer landen, hat es sich für sie oft schon gelohnt«. Erfahrungsgemäß bewegten sich die Schadenssummen zwischen 2000 und 400 000 Euro. Zahlen, wie häufig die diversen Maschen in Stadt und Kreis 2022 angewandt worden sind, kann Reinemer nicht nennen. Gleichwohl sei zu beobachten, »dass die Delikte in diesem Bereich tendenziell stark steigen«. Und die Dunkelziffer dürfte »um ein Vielfaches höher sein«, weil nicht jeder sofort die Polizei verständige.
Die wahren Übeltäter zu erwischen, sei im Übrigen gar nicht so einfach. »Wir haben immer wieder Festnahmen«, versichert Jörg Reinemer. Meist seien dies jedoch »nur« die Abholer, »also das kleinste Glied in der Kette«. Die Hintermänner säßen oftmals im Ausland. Damit sie gar nicht erst erfolgreich sind, braucht es auch Ehrenamtliche wie Heidi Schnatz. Die Botschaft an ihr Publikum ist klar: »Unser Ziel soll sein, dass Ihr nach Hause geht und all die Betrüger bei Euch kein Glück mehr haben.« Und deshalb: »Uffpasse!«
Seit 2011 sind 63 Personen zu »Sicherheitsberatern für Senioren« geschult worden, 34 davon sind noch aktiv. Das Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren. Geplant ist, die nächste Schulung im späten Frühjahr 2023 anzubieten. Anmeldungen sind jederzeit möglich: per E-Mail an ehrenamt@giessen.de oder telefonisch unter 0641/306-2259. Interessierte sollten aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, über 50 Jahre alt, kommunikativ und bereit zu sozialem Engagement sein sowie über »mögliche Probleme ihrer Zielgruppe« Bescheid wissen. Während der polizeilichen Grundschulung und den Weiterbildungen werden sie mit den verschiedenen Kriminalitätsphänomenen, die ältere Mitbürger öfter betreffen, vertraut gemacht. Und sie lernen vorbeugende Tipps und Verhaltensweisen kennen. Eingesetzt werden sie nach Bedarf und Nachfrage. (bl)
