Krieg gegen das eigene Volk

Frauenrevolution im Iran: Diskussion und Vortrag im Gießener DGB-Haus mit Sareh Darsaraee, Vorsitzende des Ausländerbeirats der Universitätsstadt Marburg.
Gießen. »Liebe Freundinnen, im Iran wird gerade Geschichte geschrieben« - Sareh Darsaraee, Vorsitzende des Ausländerbeirats der Universitätsstadt Marburg, hebt den Kopf, die vorbereitete Rede vor ihr auf dem Schoß. Sie wirkt angespannt, ihre Augen funkeln. »Dies ist eine Frauenrevolution und wir werden nicht schweigen!«
Der gesamte Raum klatscht. Wut, Trauer, aber auch Tatendrang liegen in der Luft. Diesen Dienstag lud der Ausländerbeirat der Stadt Gießen im Rahmen des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen die Iranerin zu einer Diskussion ein. Es soll um die landesweiten Proteste gehen, darum, dass bereits 18 000 Menschen inhaftiert, mehrere Hundert getötet und Frauen immer noch unterdrückt werden. Rund 30 Personen waren anwesend. Es sind vor allem Frauen, die sich zusammengefunden haben. Vor allem, aber nicht nur. Ebenso wollen sich Männer einbringen, um für die Sache der Revolution einzustehen. Die meisten stammen selbst aus dem Iran, haben dort Freunde, Verwandte - oder beides. Nun wollen sie über Hilfsmöglichkeiten debattieren, hoch oben über der Stadt, im Dachsaal des DGB-Gebäudes fordern sie Solidarität.
Darsaraee spricht in ihrer Anfangsrede nicht nur von Frauen, ebenso die LGBTQ+ Community und Feminist*innen schweben in Gefahr, berichtet sie. Besonders wichtig sei ihr die Aufklärung darüber, was gerade passiert, denn die islamische Republik Iran führe Krieg gegen ihr eigenes Volk, so Darsaraee.
Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 war der Protest wie eine riesige Welle. Im ganzen Land erhoben sich Stimmen, um gegen das Mullah-Regime zu rebellieren. Mullahs, also schiitische Geistliche, regieren seit 43 Jahren den Iran - stets im Sinne der religiösen Verfassungsdoktrin. Das Streben nach Veränderung, Revolution und Kämpfe um die Macht sind jedoch nicht neu. Dass nun allerdings Frauenrechte eine zentrale Rolle spielen und die Menschen sich erheben, sei besonders und mache diese Proteste zu der Frauenrevolution, die nötig sei, beschreibt Darsaraee.
An diesem Abend richten sich die Forderungen gegen die Theokratie und für eine Trennung von Kirche und Staat, mit demokratischen Wahlen. Dafür sei es von großer Bedeutung, dass sich die westliche Welt, jeder Staat, jede Kommune, mit der Bewegung solidarisiert und ein Zeichen für Menschenrechte setze. Sie dürfe sich nicht wieder abwenden. »Bloße Lippenbekenntnisse reichen nicht«, so Darsaraee - konkrete Maßnahmen werden nun gefordert. Nachdem Darsaraees Ansprache endete, entbrennen Diskussionen darüber, wie Hilfe aus solch einer Entfernung effektiv wirken kann. Mehr Medikamente schicken? Oder doch lieber große Demonstrationen organisieren?
»Mir bricht das Herz« - Eine Teilnehmerin schluchzt und erklärt, sie habe selbst Schwägerinnen im Iran. Sie sei enttäuscht von der Politik und wolle weitreichendere Sanktionen gegen das Mullah-Regime. Doch dies bleibt nicht die einzige Forderung; Kommiliton*innen von iranischen Studierenden sollen aufstehen, die Universitäten sich positionieren und die ASten der Universitäten ein Zeichen setzen, denn iranische Studentinnen und Studenten seien besonders hoch belastet - darin sind sich alle einig. Niemand könne erwarten, dass junge Menschen in dieser Zeit, mit diesen Bildern im Kopf, ihre akademische Ausbildung beenden. Aus einer hinteren Reihe ruft eine Teilnehmerin der Veranstaltung: »Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp in den Iran.« Wieder Klatschen und zustimmende Worte.
An diesem runden Tisch des Ausländerbeirates geht es um schmerzliche Themen, um große Politik, jedoch ohne zu vergessen, jedes Schicksal einzeln zu betrachten, denn jeder Mensch sei wichtig für diese Revolution. Tränen stehen in den Augen, dennoch gibt es ebenso Momente des Lächelns, ein kurzer Witz oder ein freundliches Wort. »Wir werden nicht schweigen«, wiederholt Sareh Darsaraee immer wieder. Sie werden nicht schweigen, geloben sie; sie werden nicht aufhören, den Kampf zu unterstützen.
Foto: Volpe