»Kümmere Dich um Deine Kinder«

Als Frau hat Magda Kunkel aus Gießen über Jahrzehnte Benachteiligung erfahren. Deshalb engagiert sie sich für Frauenrechte.
Gießen. Die Rechte von Frauen stärken: Das ist ein wichtiges Anliegen von Magda Kunkel. Der Weltfrauentag sei dafür »eine ganz tolle Sache«. Zwar sei schon einiges für Frauenrechte passiert. »Aber das Bewusstsein muss nach wie vor geschaffen werden. Mit Gesetzen erreicht man das nicht, es muss von Herzen kommen«, sagt die Gießenerin. Jahrzehntelang hat sie Erfahrungen mit Benachteiligung gemacht, etwa in den 70er und 80er Jahren bei Infas-Feldstudien: »Wir haben Männer befragt, wie weit die Frauen schon gleichberechtigt sind. Es waren 23 oder 27 Prozent der Befragten, die meinten, dass Frauen zu viele Rechte haben. Die Männer kamen aus allen Schichten«, erzählt Kunkel. Aus Anlass des Frauentages berichtet sie von ihren Erfahrungen, denn »ich habe den Eindruck, dass sich die Situation wieder verschlechtert«.
300 Mark weniger als der Kollege
Deutschland Anfang der 1960er Jahre: Nach wie vor weht ein konservativer Wind in der Bundesrepublik, den auch Kunkel zu spüren bekommt. »Damals musste mich mein Mann noch begleiten und meinen Arbeitsvertrag unterschreiben. Er hat damit bestätigt, dass ich arbeiten darf und er das zulässt. Ich weiß noch, dass ich eine Waschmaschine kaufen wollte, was aber ohne meinen Mann auch nicht ging«, erinnert sich die Rentnerin. Im Berufsleben sei sie in dieser Zeit auf einen Kollegen getroffen, der weniger gearbeitet, aber 300 Mark mehr erhalten hat. Selbst habe sie damals 170 Mark verdient, der Kollege 470 Mark.
Zehn Jahre später spürt Magda Kunkel - als Taxifahrerin unterwegs - diesen konservativen Wind noch immer. »1972 habe ich mit Fußball angefangen und später die Ausbildung zur Schiedsrichterin absolviert. Das war schlimm. Sogar über Funk bekam ich gesagt: Kümmere Dich lieber um Deine drei Kinder. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, einen Kollegen über Funk anzumachen, weil er im Bordell war, während seine Frau mit den vier Kindern zu Hause saß.« In derselben Zeit habe sie einmal angetrunkene Fahrgäste in einer Gaststätte abgeholt. »Sie hatten Klöße, Rotkraut und Sauerbraten gegessen. Ich habe die Fahrgäste abgeliefert, bin zurück und wollte das auch essen. Ich bin aber als Frau alleine nicht bedient worden. Dem Kellner habe ich gesagt, dass er nicht mehr bei uns anzurufen braucht.«
Die Ausbildung, die notwendig ist, um ein Sanitätsfahrzeug steuern zu können, habe sie als Frau in jenen Jahren auch nicht absolvieren dürfen. »Über die SPD habe ich mich mit Unterstützung auf den Weg gemacht. 15 Jahre hat es gedauert, bis Frauen ›Autos mit Musik‹ fahren durften. Das war erst Mitte der 1980er.«
Die Wurzeln des Engagements der Wieseckerin für Gleichberechtigung und gegen Benachteiligung reichen weiter zurück und bis ins nationalsozialistische Deutschland.
Aufruf des Rundfunks
»Meine Mutter war damals Diakonissenschwester. Als Hitler 1933 an die Macht kam, wurde den Diakonissen die Pflege von Juden und Kommunisten verboten. Meine Mutter war sehr gläubig und sozial - sie war Sozialdemokratin - und hat in Schmalkalden weiter Juden und Kommunisten gepflegt. Daraufhin wurde sie als Gemeindeschwester entlassen. Und im Dorf wurde sie sehr schlecht gemacht - sie war die einzige, die nicht der NSDAP angehörte. Da hieß es immer, dass meine Mama lügen würde. Als ich 19 Jahre alt war, wollte ich auch Diakonissenschwester werden, das war 1960. Die Oberin saß vor mir, eine Gräfin, und betonte: ›Eins sage ich Dir, wenn Du genau so eine Revolutionärin bist wie Deine Mutter, brauchst Du nicht kommen.‹ Schon als Kind hatte ich es schwer. Ich bin von meiner Mutter unwahrscheinlich politisch erzogen worden«, denkt Kunkel zurück.
Direkt demonstriert habe sie nur einmal 1960/61 gegen die Paragrafen 218 (Schwangerschaftsabbruch) und 175 (Verbot von Homosexualität) des Strafgesetzbuches. Intensiver wurde das Engagement erst nach einem Aufruf des Hessischen Rundfunks: Für Jugendliche, die sich für Politik interessierten, sei ein Studioclub gegründet worden. Mit Mitstreitern habe sie dort sehr viel zu den Themen Benachteiligung und Gleichberechtigung aufgearbeitet. Und schon »mit 15 Jahren war ich in der SPD und in der Gewerkschaft«.
Insgesamt seien es im Laufe der Jahrzehnte neben großen Protesten vor allem die vielen kleinen Situationen des Alltagslebens gewesen, die zur Verbesserung der Frauenrechte beigetragen hätten. Die Veränderungen hätten sich im Lauf der Jahre Schritt für Schritt entwickelt, wobei der Frauentag ein wichtiges Element sei. Übrigens: Bis zum 27. März läuft das Programm der Stadt Gießen zum Frauentag. Informationen sind im Internet auf www.giessen.de zu finden.