»Kurzfristig mehr aufnehmen«

JLU, THM und Studentenwerk unterstützen Studierende, die aus der Ukraine nach Gießen kommen, und andere, die dort geblieben sind. Was alles möglich ist und wo es Hürden gibt.
Für geflüchtete Studierende, Promovierende und Wissenschaftler aus der Ukraine, die Beziehungen zu ihnen unterhalten, haben Justus-Liebig-Universität und Technische Hochschule Mittelhessen zusammen mit der Philipps-Universität Marburg und dem Forschungscampus Mittelhessen, an dem alle drei Hochschulen beteiligt sind, einen Hilfsfonds über insgesamt 100 000 Euro aufgelegt. Aus diesem werden auf Antrag kurzfristig Gelder für einen Aufenthalt in Gießen oder Marburg zur Verfügung gestellt. Die Förderung, die zunächst für bis zu sechs Monate möglich ist, richtet sich nach dem Status der jeweiligen Person.
Studierende erhalten 1000 Euro pro Monat, Promovierende 1200 Euro und Wissenschaftler zwischen 1500 und 2500 Euro, wobei bei letzteren gegebenenfalls noch eine Familienzulage von 250 Euro hinzukommt. Wer einen Beitrag dazu leisten möchte, den Hilfsfonds aufzustocken, kann unter folgendem Link Geld übermitteln: https://www.uni-giessen.de/ueber-uns/pressestelle/ukraine/hilfsfonds-spende/
Spenden an die JLU können steuerlich geltend gemacht werden, auf Wunsch wird eine Zuwendungsbestätigung ausgestellt. (fod)
Gießen . Der russische Angriffskrieg in der Ukraine macht auch vor den dortigen Universitäten nicht Halt. An einen regulären Lehr- und Forschungsbetrieb ist nicht zu denken, Hochschulgebäude im Osten und Norden sollen durch Raketeneinschläge stark zerstört worden sein. Doch auch aus anderen Teilen des Landes befinden sich viele Studierende auf der Flucht oder suchen nach Möglichkeiten, ihr Studium im westlichen Ausland fortzusetzen. Inwieweit können Justus-Liebig-Universität (JLU), Technische Hochschule Mittelhessen (THM) und Studentenwerk Gießen hier helfen oder tun dies bereits? Und wie ist das in Anbetracht von Sprachbarriere, unterschiedlichen Studieninhalten und Finanzierung her überhaupt realisierbar? Der Anzeiger hat nachgefragt.
Justus-Liebig-Universität : Die JLU unterhält seit rund zehn Jahren Austauschverträge mit zwei Partner-Universitäten in Kiew. »Wir haben uns mit beiden abgestimmt und eine Sonderregelung beschlossen, die vorsieht, kurzfristig mehr Austauschstudierende in Gießen aufzunehmen«, berichtet Julia Volz, Leiterin des Akademischen Auslandsamts. Für das jetzige Sommersemester gab es bis zu Beginn dieser Woche bereits 75 Bewerbungen, »und es werden sicherlich noch mehr«. Die jungen Leute bleiben dann ein halbes oder ganzes Jahr in Gießen, um hier ihr Studium als Austauschstudent fortzuführen. An der JLU können sie »Lehrveranstaltungen auswählen, die zu ihrem Curriculum passen und mit ihrer Heimatuniversität abgestimmt werden«, erläutert sie.
Die Sprache ist da eher weniger ein Problem, denn: »In jedem Lehrgebiet gibt es auch englischsprachige Lehrangebote und Fachliteratur.« Zusätzlich seien flankierend niedrigschwellige Deutsch-Kurse eingerichtet worden und helfen im Rahmen des »Buddy-Programms« Mentoren bei der Eingewöhnung.
Darüber hinaus besteht für Studierende, die in der Ukraine geblieben sind, die Möglichkeit, an den digitalen Lehrangeboten der JLU, einer Art »virtuellem Austauschprogramm«, teilzunehmen. Hierfür hätten sich für den Sommer bereits 178 Personen angemeldet, berichtet Volz.
Im Übrigen könne dieses Angebot weltweit genutzt werden. Abseits dieser Austauschprogramme können sich Studierende regulär um einen Studienplatz bewerben, »müssen dafür dann aber die jeweiligen Studienvoraussetzungen erfüllen«, macht sie deutlich. Unter anderem werden hierfür Sprachkenntnisse verlangt, die eine bestimmte Niveaustufe erfüllen müssen.
Der von den drei mittelhessischen Hochschulen gemeinsam eingerichtete Hilfsfonds wird unterdessen gut in Anspruch genommen. »Wir haben dafür bislang etwa 100 Anträge erhalten«, berichtet die Leiterin des Akademischen Auslandsamts. Da der Sockelbetrag von 100 000 Euro »nicht lange vorhalten wird«, wie JLU-Präsident Joybrato Mukherjee in einer kürzlichen Pressemitteilung zu bedenken gab, sind hierfür weiterhin Spenden sehr willkommen.
Technische Hochschule Mittelhessen : Die Zentrale Studienberatung der THM berichtet, dass dort die Zahl der Anfragen von Studierenden aus der Ukraine »stetig steigt. Aktuell können wir aber noch individuelle Einzelberatungen und Begleitungen anbieten«. Wie Pressesprecher Malte Glotz für die Kollegen weiter übermittelt, gebe es für viele Studiengänge in der Ukraine hier einen ähnlichen, in dem bereits absolvierte Module anerkannt werden können. »Da die Ukraine Teil des Bologna-Prozesses war, ist die Anerkennung für passende Studiengänge nicht allzu kompliziert.« Ob Inhalte wiederholt werden müssen, hänge von der Anerkennung und den Parallelen der Studiengänge ab.
Die Technische Hochschule »bemüht sich aktuell in Einzelberatungen, so vielen Personen wie möglich einen schnellen Zugang zur Hochschule zu ermöglichen«, heißt es weiter. Die Angebote seien sehr unterschiedlich und hingen auch davon ab, ob die Personen vorher bereits studiert haben, gegebenenfalls sogar an einer Partnerhochschule der THM in Lwiw und Kiew.
Zur Bewerbung seien allerdings viele Unterlagen notwendig, wie der Nachweis des Abiturs oder von Leistungen aus dem Studium. »Die Kultusminister-Konferenz hat hierzu bereits 2015 einen Beschluss veröffentlicht, der den Hochschulzugang für Personen, die fluchtbedingt nicht alle Unterlagen nachweisen können, erleichtert«, erläutert die Studienberatung. Darüber hinaus komme es auf den Aufenthaltstitel und auf finanzielle Grundlagen, die unter anderem mit dem Aufenthaltstitel zusammenhängen, an.
»Einfach« gehe es nur dann, wenn jemand ein Deutsch- oder Englischsprachzertifikat hat und damit einen Studiengang in der jeweiligen Sprache studieren möchte. Doch auch hier gebe es noch Hürden im Bewerbungsprozess. Zu klären sei beispielsweise, wie viele Unterlagen die Personen mitnehmen konnten oder wo es den jeweils passenden Studiengang gibt.
»Eine weitere Hürde ist, dass Personen aus der Ukraine nach ihrem Abitur in Deutschland in das Studienkolleg müssen, wenn sie nicht mindestens schon ein Jahr studiert haben«, fügt man hinzu.
Schließlich gibt es an der THM noch das Gasthörenden-Programm »Pre-Study«, »in das wir noch im Laufe des Semesters Personen einladen. So kann zwar nicht direkt das Studium fortgesetzt werden, jedoch können wir die Teilnehmenden eng betreuen und bei der Vorbereitung auf Sprachprüfungen, im Bewerbungsprozess und in der Orientierung unterstützen«. Zudem würde man Studierende von Partnerhochschulen kurzfristig als Austauschstudierende einschreiben und bei der Organisation einer Unterkunft unterstützen.
Studentenwerk : »Die Leistungen des Studentenwerks stehen grundsätzlich allen Studierenden der uns zugeordneten Hochschulen zur Verfügung - unabhängig davon, aus welchem Land und auch unabhängig davon, aus welchem Grund sie nach Gießen, Friedberg oder Fulda kommen. Selbstverständlich haben auch Austauschstudierende aus der Ukraine die Möglichkeit, sich um einen Wohnheimplatz zu bewerben und eine Sozialberatung in Anspruch zu nehmen«, führt Eva Mohr, Leiterin der Unternehmenskommunikation, aus.
Beim Studentenwerk erwartet man, dass Studierende, die aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine nun hier studieren, zunächst vor allem Fragen zu Aufenthaltsrecht, Wohnungssuche und Studienfinanzierung haben, etwa zum Jobben oder Sozialleistungen. »Unser Team der Sozialberatung hat sich daher bereits speziell zum Themenkomplex ›Aufenthalt und Sozialleistungen für Studierende aus der Ukraine und Russland‹ weitergebildet und steht Ratsuchenden jederzeit gerne über unsere üblichen Kontaktwege per E-Mail, telefonisch oder persönlich zur Seite«, lässt Mohr wissen.