»Lage ist immer noch fragil«

Nach zwei Erhöhungen innerhalb von zehn Monaten: Stadtwerke Gießen senken den Strompreis
Gießen . Im November 2021 waren die Stadtwerke Gießen (SWG) noch zuversichtlich, dass sie und ihre Stromkunden ohne Preiserhöhungen durch das Jahr 2022 kommen würden. Doch dann kam bekanntermaßen alles anders, innerhalb von zehn Monaten verteuerte sich die Grundversorgung gleich zweimal. Nun hatte SWG-Vertriebsleiter Andreas Fuchs beim Pressegespräch vergleichsweise positive Nachrichten im Gepäck: Zum 1. Mai senkt der Versorger für den Großteil der Stromkunden die Preise. Pro Kilowattstunde werden in der Grundversorgung dann 39,94 Cent fällig, statt wie bislang 46,67 Cent. Ein Haushalt mit einem Verbrauch von 2200 Kilowattstunden spart dadurch im Jahr rund 150 Euro.
Hintergrund sind die gefallenen Preise auf dem Großhandelsmarkt. Die Preissenkung sei »erfreulich, aber kein Grund zum Strahlen«, betonte Andreas Fuchs. Denn das Preisniveau sei noch immer deutlich höher als vor der Krise.
Drei Viertel der Kunden profitieren
Aber nicht nur die Grundversorgung wird billiger. In den Tarifen PowerPack Private und Professional sowie WarmUp und Wärmepumpe sinken die Preise zwischen rund acht und etwa elf Prozent. Insgesamt würden rund drei Viertel aller SWG-Kunden von der bevorstehenden Preisreduktion profitieren, sagte Matthias Funk, Technischer Vorstand der SWG.
In allen von der Senkung betroffenen Tarifen liegt der Preis pro Kilowattstunde damit ab Mai unter der 40-Cent-Marke, ab der die Strompreisbremse der Bundesregierung greift. Damit entlaste man nicht nur die eigenen Kunden, sondern auch den Bundeshaushalt, betonte Funk.
Mit der Preisbremse wird für private Verbraucher und kleinere Unternehmen bis zu einem Jahresverbrauch von 30 000 Kilowattstunden für 80 Prozent des Verbrauchs ein Preislimit gesetzt, für die restlichen 20 Prozent zahlen Verbraucher den im Vertrag vereinbarten Preis. Die Entlastung gilt ab dem 1. März rückwirkend von Januar 2023 bis April 2024. Die Kunden müssen für die Entlastung nicht selbst aktiv werden, sie wird automatisch in der Abrechnung berücksichtigt. Maßgeblich ist in der Regel die Verbrauchsmenge des Vorjahres.
Fernwärme nochmal teurer
Und wie sieht die Situation bei Gas und Fernwärme aus? Auch im Gas-Großhandel würden die Preise derzeit sinken, berichtete Vertriebsleiter Fuchs. Man sei daher »vorsichtig optimistisch« und prüfe genau, ob absehbar auch der Erdgas-Preis gesenkt werden könne. Auf Fernwärme-Kunden wird zum 1. April allerdings schon wieder eine Erhöhung zukommen. Wie genau diese ausfallen wird, stand beim Pressetermin noch nicht fest. Die aktuell gültigen Indizes, mit denen der Fernwärmepreis berechnet wird, würden »keine andere Option« bieten, so die SWG. Der Versorger erwartet jedoch, dass die Entspannung an der Energiebörse mit Verzögerung auch bei der Fernwärme-Berechnung ankommt: »So wie es sich derzeit darstellt, gehen wir davon aus, dass die Fernwärmepreise zum 1. Oktober 2023 - also pünktlich zur nächsten Heizperiode - sinken könnten«, prognostiziert Andreas Fuchs.
Dass die Beschaffungspreise sinken, liege auch daran, dass die Gasspeicher noch zu etwa zwei Dritteln gefüllt seien - Dank eines eher milden Winters, spürbaren Einsparungen beim Verbrauch und Alternativen durch LNG-Terminals. Im vergangenen Jahr seien die Speicher zur gleichen Zeit nur noch zu 26 Prozent gefüllt gewesen. »Die Lage ist aber immer noch fragil. Wir müssen ›uffpasse‹, wie der Mittelhesse sagt.« Zwar sei die befürchtete Gasmangellage nicht eingetreten, es gelte aber nach wie vor die zweite Stufe des Gas-Notfallplans.
Verbraucher sollen weiter einsparen
Das Unternehmen appelliert daher weiterhin an seine Kunden, sparsam mit Strom, Gas und Co. umzugehen: »Die beste Energie ist die, die nicht verbraucht wird.« Kunden, die Schwierigkeiten haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen, sollten sich frühzeitig an den Versorger wenden, um etwa längerfristige Ratenzahlungen zu besprechen. Im Kundenzentrum am Marktplatz sowie online werden weiterhin kostenlose Energiesparberatungen angeboten.
Angesichts der sinkenden Preise haben wechselwillige Kunden in den Online-Vergleichsportalen derzeit wieder mehr Auswahl, auch Billiganbieter tauchen wieder auf dem Markt auf. Nach dem Energiepreisschock hatten manche Unternehmen reihenweise Kunden vor die Tür gesetzt, die Grundversorgung war vielerorts plötzlich das günstigste Angebot. Letztlich, so Matthias Funk, müsse sich der Verbraucher entscheiden, ob ihm Stabilität und Planbarkeit bei der Energieversorgung wichtiger seien, als Discountpreise. »Der Kunde hat die Wahl, welches System zu ihm passt.«