»Laufen ist Lebensqualität«
Ingo und Christof Pfeiffer sind Orthopädieschuhmacher mit Leib und Seele. Insgesamt 20 Mitarbeitende sind bei Orthopädieschuhtechnik Pfeiffer in Gießen und Buseck tätig.
Gießen. Wenn Ingo und Christof Pfeiffer über ihren Beruf sprechen, strahlen die beiden über das ganze Gesicht. Vater und Sohn sind Orthopädieschuhmacher aus Leidenschaft. Sie arbeiten in einem recht jungen Berufszweig des traditionsbewussten Schuhmacherhandwerks. Moderne Maschinen und Computertechnik gehören dabei genauso zum Alltag wie echte Handarbeit und intensive Kundenberatung. Bei ihnen geht es um die Füße und ganz viel um Lebensqualität.
Benötigt werden handwerkliches Geschick und auf jeden Fall medizinisches Verständnis, antwortet Christof Pfeiffer auf die Frage nach den Voraussetzungen für die Ausbildung. Ganz wichtig, so der 28-Jährige, sei zudem: »Man muss den Menschen helfen wollen.«
Orthopädieschuhmacher ist noch ein recht junger Ausbildungsberuf. »Schuhmacher selbst gibt es ja schon seit Jahrhunderten, den Orthopädieschuhmacher allerdings erst seit den 1950er Jahren«, erklärt sein Vater Ingo. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Fachleute gebraucht, welche die zahlreichen Kriegsverletzten versorgen konnten. Heutzutage kümmern sich die Orthopädieschuhmacher um Menschen mit unterschiedlichsten Fußproblemen.
Noch vor 20 Jahren war die Mehrheit der weltweiten Betriebe in Deutschland zu finden. Mittlerweile gibt es das Berufsbild auch in anderen europäischen Ländern. Sogar in Australien, wie Christof Pfeiffer weiß. Während seiner Gesellenzeit machte er in Melbourne ein mehrmonatiges Praktikum. Er kam mit vielen neuen Eindrücken wieder nach Hause und auch mit der Erkenntnis: »In Deutschland sind wir in dem Handwerk Spitzenreiter.«
Lange Familientradition
Für den Vater Ingo Pfeiffer stand schon als kleiner Junge fest, dass er mal Schuhmacher werden würde. Als sechsjähriger Bub saß er regelmäßig beim Opa in der Werkstatt in Buseck und nähte Mokassins. Mit Tradition können Pfeiffers ohnehin aufwarten. Ihre Schuhmacher-Historie reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, belegt ist das durch Funde im Busecker Gemeindearchiv und in Kirchenbüchern. Das Stammhaus der Pfeiffers liegt seit jenen Zeiten in Großen-Buseck.
Aber auch in Gießen sind sie seit vielen Jahrzehnten keine Unbekannten. »Meine Eltern führten einen Schuhhandel in Buseck und der Gießener Innenstadt. Ich selbst übernahm im Jahr 1989 den Gießener Betrieb von meinem Vorgänger Herbert«, erzählt der Seniorchef. Im vergangenen Jahr habe man dann alle Geschäftsbereiche in Gießen und Buseck mit Handel und Orthopädie zu einer Firma verschmolzen, »Jetzt können wir von Tradition in siebter Generation sprechen«, berichtet Ingo Pfeiffer stolz. Insgesamt 20 Mitarbeitende sind bei Orthopädieschuhtechnik Pfeiffer in Gießen und Buseck tätig.
Dass sein Sohn sich ebenfalls für den Beruf entscheiden würde, war nicht von Anfang an klar. »Ich hatte erst an ein Studium oder an etwas im kaufmännischen Bereich gedacht«, räumt Christof ein. Doch rund ein Jahr vor dem Abitur entschied er sich um. »Als er mir an jenem Abend sagte, dass er wie seine Eltern das Handwerk erlernen wolle, hatte ich Gänsehaut«, gesteht Ingo Pfeiffer. Die Entscheidung seines Sohnes habe ihn sehr glücklich gemacht.
Bereut hat Christof Pfeiffer seine Entscheidung nicht. Seine Ausbildung schloss er als Landessieger in Baden-Württemberg ab. »Zu Hause wollte ich auf keinen Fall die Ausbildung machen. Da ist man immer der Sohn vom Chef - und ich wollte meine Fehler schonungslos gezeigt bekommen.« Christof Pfeiffer ist von der Vielfalt seines Berufes fasziniert. Neben Einfühlungsvermögen für die Sorgen und Belange der Patienten sind auch Teamwork und technisches Verständnis erforderlich. »Wir arbeiten mit computergesteuerten Fräsen und CAD-Scannern.« 3D-Druck sei ebenfalls im Kommen. »Da tut sich gerade ganz viel«, ergänzt Ingo Pfeiffer.
Augenmerk auf Diabetes
Orthopädieschuhmacher fertigen Maßschuhe an für Menschen mit unterschiedlichen Fußproblemen. Auch der Einlagenbau gehört in ihren Aufgabenbereich. Anfangs wird der Fuß gescannt. »Der Leisten, also die Vorlage aus Holz für den Schuhbau, wird dann am Computer mit einem CAD-Programm erstellt und schließlich aus einem Holzblock rausgefräst. »Das Fräsen von Einlagen machen wir in Gießen und in Buseck«, erzählt der Seniorchef. Auch die Schuhe werden komplett im Hause zusammengebaut. Beim Einlagenbau sei Fingerspitzengefühl gefragt. »Feinheiten müssen hier noch immer von Hand erledigt werden, das kann keine Maschine«, ergänzt der Sohn.
Auch die Frage nach dem Warum der Fußprobleme sei essenziell, ergänzt sein Vater. »Habe ich einen Taxifahrer vor mir, der den ganzen Tag schief in seinem Fahrzeug ist, weil er Automatik fährt oder einen Menschen, der lange am Schreibtisch arbeitet und dabei Rücken- und Fußprobleme entwickelt?« Ganzheitliche Beratung und Verständnis seien ihm daher enorm wichtig.
Ein besonderes Augenmerk legt Ingo Pfeiffer auf die Versorgung von zuckerkranken Menschen. »Wir haben bei Diabetikern in Deutschland jedes Jahr 40 000 Fußamputationen zu beklagen«, weiß er. Seit 28 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem diabetischen Fuß, um den Betroffenen zu helfen. »Da hängt mein Herzblut dran.«
Seit 25 Jahren sind die Pfeiffers zudem offizieller Kooperationspartner der Fußambulanzen am Uniklinikum Gießen sowie dem St. Josefs Krankenhaus. Auch bei den Sprechstunden ist Ingo Pfeiffer dabei. Viel Leid hat er da schon gesehen. »Die Patienten haben die schrecklichsten Wunden an den Füßen und merken es nicht einmal.« Denn durch die multiple Nervenstörung, die das Krankheitsbild verursacht, hätten sie keinerlei Schmerzempfinden mehr. »Viele Diabetiker blenden die Füße ganz aus ihrem Bewusstsein aus, weil der Körper keine Signale mehr von dort erhält«, sagt Christof Pfeiffer. Mit einer speziellen Messplatte, die mit druckempfindlichen Sensoren ausgestattet ist, können die Orthopädieschuhmacher die Druckbelastung des Fußes erkennen. «Beim diabetischen Fuß ist die Druckumverteilung das A und O.« Ein speziell gefertigtes und individuell angepasstes Diabetes-adaptiertes Fußbett unterstützt den Heilungsprozess und verhindert im besten Fall weitere Wunden.
Auszubildende gesucht
Aber auch, wenn Teile des Fußes nicht mehr gerettet werden können, helfen die Orthopädieschuhmacher mit der Maßschuhversorgung weiter. »Wir fertigen die entsprechenden Leisten und bauen dann passgenaue individuelle Schuhe für die teilamputierten Füße«. Wenn Menschen nach einer langen Leidenszeit wieder beschwerdefrei laufen könnten, sei das ein großartiges Gefühl. »Laufen ist Lebensqualität«, betont Ingo Pfeiffer.
In diesem Jahr möchten die Pfeiffers gerne wieder zwei Auszubildende aufnehmen. In den vergangenen 30 Jahren haben sie schon 18 Azubis auf ihrem beruflichen Weg begleitet. »Orthopädieschuhmacher ist ein Beruf mit Zukunft«, meint Christof Pfeiffer. Trotzdem sei das Berufsbild immer noch zu unbekannt. »Es gibt 168 Millionen Füße in unserem Land, die potenziell versorgt werden müssen, die Arbeit wird uns also nicht ausgehen.« In seinem Ausbildungsjahrgang seien Männer und Frauen etwa gleichstark vertreten gewesen. Die Zukunft sehen die beiden gelassen. »Als Konkurrenz betrachten die beiden andere Orthopädieschuhmacher nicht. »Wir haben hier keinen Verdrängungsmarkt.« Jeder Schuhmacher habe seine Schwerpunkte. Und die Freude an ihrem Beruf möchten die beiden gerne weitergeben.
»Ich musste nie einen Tag arbeiten in meinem Leben«, sagt Ingo Pfeiffer und lächelt: »Ich wollte immer.«
Leidenschaft fürs Handwerk und Lust auf Teamwork sollte ein angehender Orthopädieschuhmacher mitbringen. Daneben zählen Genauigkeit, Verlässlichkeit und handwerkliches Geschick zum Rüstzeug. Medizinisches Verständnis ist in diesem Gesundheitsberuf ebenfalls essenziell. Dank moderner Technik ist der Beruf nicht mehr so körperlich anstrengend wie in den Anfangszeiten.
Die duale Ausbildung dauert regulär dreieinhalb Jahre. Eine Verkürzung der Ausbildungszeit durch gute Leistungen oder Abitur ist aber möglich. Voraussetzung für den Ausbildungsbeginn ist ein Hauptschulabschluss. Der Block-Unterricht findet an der Paul-Ehrlich-Schule in Frankfurt-Höchst statt. Ausbildungsinhalte sind unter anderem Anatomie, Physiologie und Pathologie der Stütz- und Bewegungsorgane. Außerdem gehört das Anmessen von orthopädischen Hilfsmitteln zur Versorgung von Fuß und Unterschenkel dazu. Natürlich müssen Patienten und Kunden umfassend beraten und betreut werden - in berufsübergreifender Zusammenarbeit mit den Ärzten. Weiterhin gehört die Planung und Umsetzung von Versorgungskonzepten zu den Ausbildungsinhalten. Ebenfalls sollen Orthopädieschuhmacher orthopädische Hilfsmittel wie Einlagen und Maßschuhe entwickeln und herstellen können. Auch Verkürzungsausgleiche und Einbauelemente an Schuhen muss ein Orthopädieschuhmacher fertigen können.
Die Weiterbildung als Meister über einen achtmonatigen Vollzeitunterricht an einer Meisterschule ist Voraussetzung für die Selbstständigkeit. Es gibt auch Möglichkeiten zum Studium wie Technische Orthopädie an der FH Münster.
Das Ausbildungsgehalt liegt im ersten Lehrjahr bei rund 620 Euro, im zweiten bei etwa 732 Euro, im dritten bei 837 Euro und im vierten bei 886 Euro.

