Liebe ist wie Landtag

Der bekannte Poetry Slammer Lars Ruppel zeigt in der Europaschule Lollar, wie man Jugendliche für die Poesie gewinnt. Zum Beispiel mit Gedanken über die Liebe.
Lollar. Leidenschaftliche Berufspessimisten, Zukunfts-Schwarzseher und der ewige Nörgler-Verein Deutsche Sprache müssen jetzt ganz stark sein: Die Jugend gibt Grund zur Hoffnung. Zumindest die der siebten Jahrgänge der Europaschule Lollar (CBES). Das war nicht unbedingt zu erwarten, als die Gesamtschule zu einer Doppelstunde Poesie mit dem bekannten Poetry Slammer und Kabarettisten Lars Ruppel einlud. Und doch gelang es dem 38-Jährigen, sein rund 200 Köpfe zählendes Publikum in der vollbesetzten Aula dazu zu bringen, konzentriert nach Wort-Synonymen zu suchen, Geschichten zu entwickeln und sogar die Liebe mit prägnanten Versen zu umschreiben.
Es gibt sicher einfachere Aufgaben, als solch ein eher elektronische Medien als dicke Lederschwarten schätzendes Auditorium für sich einzunehmen. Zumal Ruppel zu Beginn bekannte, nur über drei Themen zu verfügen. Dazu zählt »mein eigenes Leben, weil ich da relativ nah dran bin«. Außerdem »die Poesie«, ein Stichwort, das kaum überbordende Emotionen bei den Siebtklässlern erzeugte. Und schließlich Borussia Dortmund, was ihm immerhin wieder ein paar Pluspunkte (aber auch ein paar Buhrufe) einbrachte.
Dennoch ging es in den folgenden 80 schnell verfliegenden Minuten nicht um den Fußball - sondern die Dichtkunst. Und Ruppel hielt ein unmittelbar einnehmendes Plädoyer für sein Anliegen: das Spiel mit den Wörtern und Sätzen »jenseits der Sprachpfade, die wir an jedem Tag auslatschen«. Dabei schicke ihm mittlerweile selbst seine Mutter nur noch Handynachrichten, die aus unverständlichen Emojis bestünden. Doch man kann sich eben auch ganz anders ausdrücken und dadurch auch anders und weiter denken, wie Ruppel mit einem Zitat des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein nahelegte.
Gedichtfund auf dem Dachboden
Dazu erzählte der in Berlin lebende Gast nicht nur von seinen Anfängen als achtjähriger Dichter, die er auf dem Dachboden seines Elternhauses in einem alten Schulheft entdeckte. Er streute zudem gewitzte Verse seines Lieblings-Reimschmieds Heinz Erhardt ein und ließ sein Publikum selbst fröhlich mit der Sprache jonglieren. Dazu rief er einen Wettbewerb aus, wer als erstes fünf Synonyme für das Wort »gehen« findet. Auch Alternativen zu »Baum« und »schön« gingen den Jugendlichen überraschend schnell von der Schreibhand.
Also wurde der Schwierigkeitsgrad weiter erhöht. Ruppel bat die Siebtklässler, ein Buch hervorzuholen, die Seite ihres Geburtsdatums aufzuschlagen und das erste dort auftauchende Substantiv herauszuschreiben. Damit sollten sie nicht nur den Satz »Liebe ist wie ... « vervollständigen - sondern auch noch um eine passende Erklärung ergänzen und vor dem Saal vortragen. Nicht gerade einfach, wenn das entsprechende Wort »Landtag«, »Nummer« oder »Finanzwesen« lautet.
Doch die mal präzisen, mal poetischen und immer kreativen Ergebnisse konnten sich wahrlich hören lassen. Und sie wurden unter dem großen Beifall der Menge von ebenso vielen Jungs wie Mädchen vorgetragen. So zeigte Ruppel in diesen zwei Stunden, wie leichthändig sich der Nachwuchs für das kreative Spiel mit den Sprachformen begeistern lassen kann.
Für Wiebke Meuser, für die kulturelle Bildung an der Schule zuständige Projektkoordinatorin sowie Deutsch- und PoWi-Lehrerin, ist das keine Überraschung. Ruppel ist an der CBES ein alter Bekannter, er wird regelmäßig eingeladen, um das Thema Sprache und Literatur auf den Stundenplan zu setzen. Und auch andere Gäste werden von der angehenden Profilschule Kulturelle Bildung in der Sparte Literatur eingeladen, um dem Nachwuchs das Thema auf unkonventionelle Weise zu vermitteln. An diesem Morgen hat Lars Ruppel dazu insgesamt rund 500 Schüler der Jahrgangsstufen sieben und acht in drei Durchgängen unter seine Fittiche genommen. Und wer weiß: Vielleicht verzichtet schon heute manch einer von ihnen auf ein Emoji, weil er ein originelles Synonym gefunden hat.