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»Machen Sie sich nicht zum Opfer«

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Von: Björn Gauges

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Wie umgehen mit der »Mohren-Apotheke«? Asfa Wossen-Asserate (kleines Bild), Gast der Europaschule Lollar, hat auch dazu eine klare Meinung. Fotos: dpa/Gauges © dpa/Gauges

Der Frankfurter Publizist Asfa-Wossen Asserate sprach in der Europaschule Lollar über Rassismus - und bezog dabei deutlich Position.

Lollar. Zum Thema Rassismus drängen sich viele Fragen auf. Woher kommt er? Was macht ihn aus? Und wie kann man ihm begegnen? Lohnende Antworten lieferte am Donnerstagmorgen Asfa-Wossen Asserate, der aus Äthiopien stammt, seit mehr als 40 Jahren deutscher Staatsbürger ist und neben seiner Arbeit als Unternehmensberater auch einige Bestseller (»Manieren«) geschrieben hat. Gerade legte der Frankfurter eine »persönliche Wortmeldung« in Buchform vor, die das Thema Rassismus auf analytisch-hellsichtige Weise in den Blick nimmt. Auf Einladung der Clemens-Brentano-Europaschule in Lollar (CBES) las der 74-Jährige vor Schülern der 7. und 11. Klassen aus dem Werk mit dem Titel »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann« und kam anschließend mit ihnen ins Gespräch.

Wie kompliziert sich dieses Thema darstellt, zeigt sich schon an den Begrifflichkeiten. Wie also lassen sich Menschen mit dunkler Hautfarbe korrekt bezeichnen: als Schwarze, Afro-Deutsche, Farbige, People of Colour oder gar als BIPoC, (Black, Indigenous and People of Coulor), wie Asserate aufzählte. Ihn selbst dürfe man »auf jeden Fall« als Schwarzen bezeichnen, wie er Moderator und PoWi-Lehrer Matthias Payer auf dessen Frage entgegnete. »Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ich jemals sagen werde, ich wäre BIPoC.« Mit dem etwa von Apotheken verwendeten Begriff »Mohr« habe er dagegen kein Problem, das Wort stamme von nach Spanien übergesiedelten Mauretaniern (»Moros«) ab. Das N-Wort« hingegen würde er »überhaupt nicht benutzen, weil es herabwürdigt und rassistisch konnotiert ist«.

Zunächst skizzierte der Gast kurz, wie sich der Rassismus gegenüber der Bevölkerung Afrikas entwickelte. Es ist ein relativ junges Phänomen, denn in der Antike und dem Mittelalter sei es - schon aufgrund der wenigen schwarzen Menschen in Europa - quasi unbekannt gewesen. Das änderte sich durch die Verbindung zweier paralleler Phänomene: der Sklaverei und dem Kolonialismus. Zudem sei mit der Aufklärung begonnen worden, Rassen auf vermeintlich wissenschaftliche Weise voneinander abzugrenzen. Doch wie wir heute wissen: Rassen gibt es nicht. Schließlich sei das genetische Erbgut aller Menschen auf der Welt nahezu identisch und das der Ostafrikaner dem der Europäer sogar noch ein klein wenig näher als dem der Westafrikaner, erklärte Asserate.

Doch das hielt auch einen großen Geist wie den »von mir verehrten Philosophen Immanuel Kant« nicht davon ab, rassistische Thesen aufzustellen. Der Frankfurter hat dafür eine einfache Erklärung: »Schließlich hat er ja nie einen schwarzen Menschen gesehen.« Und so urteilt er milde über diese Auslassungen Kants: »Auch ein weiser Mann hat ein Anrecht auf etwas Dummheit.«

Womit er in seinem Vortrag zur jüngsten Entwicklung in Deutschland kam, dessen Gesellschaft sich seit den 1990er Jahren rasant verändert habe. Auf der einen Seite gebe es eine zunehmende Anzahl von Migranten, die mehr gesellschaftliche Teilhabe einforderten. Auf der anderen Seite die Angst vor Überfremdung und Statusverlust der eingesessenen Bevölkerung. »Das sorgt für Konflikte.« Und schon fand sich Asserate, ein Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, in der Identitätsdebatte wieder, zu der er deutlich Stellung bezog: »Aus persönlicher Betroffenheit wird moralische Überlegenheit abgeleitet«, das sei für ihn nicht akzeptabel. Denn wenn Integration gelingen solle, dürfe die Gesellschaft Ansprüche stellen, die für alle gleichermaßen gelten. »Wer diese Werte nicht respektiert, muss mit den Konsequenzen rechnen, egal welcher Hautfarbe, welcher sexuellen Identität oder welcher Religion.« Er habe jedenfalls »keine Lust auf die Opferrolle«, betonte der 74-Jährige.

Vor allem plädierte Asfa-Wossen Asserate vor den Schülern dafür, das Gemeinsame zu suchen, anstatt das Trennende zu betonen. »Ich bevorzuge daher das Gespräch.« Auf die Frage eines Schülers, wie aber nun Rassismus im Alltag zu begegnen sei, antwortete er: »Seien Sie offen. Leben Sie danach. Zeigen Sie Zivilcourage. Und machen Sie den Mund auf.« Seiner Generation sei es nicht geglückt, den Rassismus aus der Gesellschaft zu verbannen. »Aber wir sind weit vorangekommen. Vielleicht gelingt es Ihnen, diesen Weg fortzusetzen«, setzt der Gast seine Hoffnung auf die heranwachsenden Generationen.

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gikult_asserate62_310323_4c_1 © Björn Gauges

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