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Malerei und Monster

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Sie materialisiert das Tier im Menschen: Vanessa Wagner mit ihrem Kampf zwischen Krake und Spinne. Foto: Schultz © Schultz

Menschen, Tiere und Figuren: Arbeiten der Gießenerin Vanessa Wagner sind bis Freitag im Unteren Hardthof zu sehen.

Gießen. Eine bemerkenswerte Verwandlung der Galerie im Hardthof: Vanessa Wagner zeigt dort ihre Ausstellung »No Innocence«. Dominiert werden die Räume von einem monströsen Reptil.

In ihrer ersten Galerie-Ausstellung zeigt die Gießenerin etwa 40 Arbeiten aus den vergangenen drei Jahren. Wobei ihre künstlerischen Aktivitäten mit Performances, Installationen und Beteiligungen schon zehn Jahre zurückreichen, meist an Orten der freien Szene aber auch der Galerie23, fasste Dieter Hoffmeister, Vorsitzender des Hardthof-Vereins, in seiner Einführung zusammen. Am Unteren Hardthof war sie seit 2016 drei Mal mit großen aufwendigen Installationen vertreten.

50 Meter lange Schlange

Wagner, geboren 1977 in Gießen, schließt gerade ihr Studium der freien Kunst in Kassel mit dem Master ab. Eine vorrangig von ihr verwendete Technik ist das sogenannte »Tuften«, ein in der Industrie verwandtes Verfahren, bei dem mittels einer Maschine mit Stiften eine Leinwand von hinten durchbohrt wird. Darum werden dann Wollfäden gezogen, die letztlich das Bild ergeben. Dadurch erhalten ihre Figuren eine spezielle Prägnanz. Es ist eine künstlerische Handschrift, mit der sie ihre eindeutig malerischen Tafelbilder wie auch ihre plastischen Arbeiten gestaltet.

Laut Hoffmeister kamen in den vergangenen beiden Jahren zu den textilen Arbeiten auch Malerei und Skulpturen aus Keramik hinzu. »Meine Reaktion als Spät-68er: Das ist Punk.« Eine Bewertung, gegen die die Künstlerin nichts einzuwenden habe. Wagner materialisiert gewissermaßen das Tier im Menschen, in dem sie wie in »Tiger woman« einer Frau eine Raubkatze zur Seite stellt, die ein Teil ihrer selbst ist. Oder sie lässt in »Octopus & Spiderwomen« (Porträt) eine wehrhafte Frau einem Monster die Stirn bieten. »Der Mensch erscheint in ihren Arbeiten als ein Wesen, das in sozialer Kontrolle und Konvention gefangen erscheint. Das Tier oder tierähnliche Wesen, das ihn begleitet, scheint Ausdruck dessen zu sein, was er vermisst und wonach er sich sehnt.« Dazu schreibt Wagner: »Dank seiner Natur verfügt das Tier über Fähigkeiten, die sich in Kraft, Schnelligkeit oder einer überlegenen Reaktionsfähigkeit ausdrücken. Der Mensch ist dieser Anlagen beraubt.«

In ihrer Arbeit befasst sich Vanessa Wagner generell mit dem Verhältnis von Mensch und Tier, vielleicht auch von Mensch und Welt. Das Werk mit dem Titel »Es gibt keine Unschuld« beschreibt ihr Verständnis der allgemeinen Verfassung, könnte man sagen. Die 50 Meter lange textile Schlange (2014, o. T.), die sich durch die gesamte Galerie windet und viele Abteilungen verbindet, steht generell für »Schuld und Vertreibung«, erläutert sie. Den Besuchern der Vernissage gefiel das riesige Reptil jedenfalls sehr.

In dieser reichhaltigen Ausstellung unbedingt zu beachten ist auch die Installation »Die Gesellschaft« in der Mitte des Raums«. Da sitzen einige textile Figuren an einem Tisch, auf dem sich allerlei Lebensmittel finden, Teller mit Fisch etwa, eine Packung Zigaretten und eine mit Tabletten, ein paar Flaschen sowie ein Eier- und ein Aschenbecher. Und alles ist aus textilem Material, außer den beiden Keramikbechern - ein weiteres Material, mit dem Wagner arbeitet.

Es ist eine sehenswerte Schau, die inhaltlich und stilistisch stimmige, attraktive und ungewöhnliche Arbeiten umfasst. Die Werke bieten immer wieder intellektuelle Anstöße, wozu auch Bezüge zum Rock’n’Roll gehören wie in »Be my little Baby« oder »Oh Lord don’t buy me a Mercedes Benz«. Überzeugend ist auch ihre stilistisch ausgeformte Malerei wie etwa in »Cowgirl«, in dem der Protagonistin eine Schlange um den Hals hängt und sich weitere Assoziationen entdecken lassen. Man sollte schon etwas Zeit mitbringen, es lohnt sich.

Während der Vernissage lief eine Video- und Soundperformance von Bertram B. Ohne, die klassischen Rock’n›Roll zum Thema hatte.

Die Ausstellung ist bis zum 12. Mai täglich von 16 bis 18 Uhr zu sehen. Bei der Finissage Freitag ist ab 20 Uhr auch Wagners Band The Deep Freaks zu erleben. Infos unter untererhardthof.de.

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