Man mache sich ein Bild

Gießen. Zur Malerei gehört Kreativität, Inspiration, Originalität. Aber auch eine Menge handwerklicher Arbeit. Davon zeugt die Ausstellung »Unseen - the Underdog Exhibition«, die heute Abend um 18 Uhr im KiZ (Kongresshalle) eröffnet wird. Die Gießenerin Annika Müller hatte die Idee, zehn Kunststudierende der Justus Liebig Universität zusammenzubringen und ihnen nach den zehrenden, ausstellungslosen Pandemie-Jahren eine Plattform zu bieten, um die eigene Kunst öffentlich präsentieren zu können.
Ihre einzige Vorgabe lautete: »Macht einfach, was euch inspiriert, was raus muss.« Zugleich hat sie selbst den Entstehungsprozess der Arbeiten kreativ begleitet: Zu jeder der zehn ausgestellten Leinwände gibt es einige hochwertige Fotografien, die sprechende Details beisteuern.
Da ist etwa das großformatige Ölgemälde »Waves«, auf dem die in Frankfurt lebende Ramsheke Thillainathan zahlreiche Köpfe in skizzenhaften Strichen und leuchtenden Farben versammelt hat. Es sind Gesichter von Menschen, die man wie zufällig streift und nur schemenhaft in Erinnerung behält, erzählt sie beim Pressegespräch. »Scharfes und Unscharfes habe ich dabei gegenübergestellt, die Leinwand gedreht und von allen Seiten gemalt«. Je länger man dieses Bild betrachtet, um so mehr solcher Gesichter lassen sich darauf entdecken. Annika Müller hat dazu Fotografien gestellt, auf denen etwa eine Hand der Künstlerin mit dem Pinsel zu sehen ist, die an der Leinwand arbeitet.
So wie hier ging die 26-Jährige immer wieder ganz nah heran, um spannende Ausschnitte einzufangen. So zeigt sie Paletten, Pinselkästen, Skizzenbücher, aber auch Atelier-Aufnahmen, in denen Künstlerinnen zu sehen sind, einen Hinterhof mit Staffelei, eine Katze, die durch den Raum schleicht. Und immer wieder Hände, Arme, Körper, auf denen die Ölfarben ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben. »Das habe ich bei den Fotosessions gelernt«, sagt Annika Müller lachend, »man sollte da schon seine Arbeitskleidung anziehen«. Ihre weißen Sneaker etwa hatten einmal anschließend eine blaue Sohle.
Reizvoll ist die Gegenüberstellung der Malerei und der Fotografie aber auch, weil die Arbeitssituation dem finalen Werk gegenübergestellt wird. Und weil jedem einzelnen der zehn beteiligten Künstler eine spezielle Farbe zugeordnet wird. Das wurde zuvor gemeinsam festgelegt, so dass nun ein großes Ölgemälde von Ceren Eda Neccar ein Blumen-Stillleben in leuchtendem Rosa zeigt. Helena Steffes zeigt ihre Begeisterung für Architektur in einem spannenden Muster aus Balkenwerk, das sie bei einer Exkursion in ein polnisches Salzbergwerk entdeckt hat und in einem brennendem Orange abbildet. Und Rosemarie Fischer kam mit dem Bild zweier Ziegen von einer Indien-Reise zurück. So entstand aus dem Foto der beiden Tiere ein strahlend gelb leuchtendes Gemälde, für das sie zudem vom Subkontinent in die Heimat mitgebrachte Farbpigmente verwendet hat.
Die Ausstellungsmacherin selbst studierte Medienwissenschaften und beendete ihren Master in Literaturwissenschaft Anfang des vergangenen Jahres. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie nebenher in der Branche der Eventfotografie und hat dabei etwa an Musikprojekten mitgewirkt. Mit dem von ihr gegründeten Projekt »Unseen« sammelte sie nun auch wichtige Erfahrungen als Organisatorin. So fand sie Sponsoren, einen ersten Ausstellungsraum in der Sparkassen-Zentrale sowie einen zweiten im Hotel-Restaurant Heyligenstaedt.
Fotografin und Organisatorin
Doch erst in den luftigen Galerieräumen des KiZ bieten sich ihr und den zehn beteiligten Künstlern (dazu gehören auch Anna Seibel, Elina Gross, Flávia Grilo Coelho, Helena Clara Semmler, Julian Fuchs und Lea Melchior) die Möglichkeit, die großformatigen Arbeiten richtig wirken zu lassen. Hinzu kommt eine sehenswerte Internet-Seite, die einen virtuellen Rundgang zu den Arbeiten ermöglicht. Und die Resonanz auf das Projekt ist vielversprechend: Zwei der Gemälde wurden bereits vor der Vernissage im KiZ verkauft.
Die Ausstellung wird am heutigen Freitag um 18 Uhr eröffnet und läuft bis zum 2. April. Der Katalog kostet 10 Euro. Auch Postkarten sind zu erwerben. Die Internetseite: www.unseen-art.de.

