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Material für stille Momente

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Ungewöhnliche Ansichten und womöglich sogar Einsichten bringt die neue Ausstellung im Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM), die am Dienstagabend eröffnet wurde. Der Gießener Künstler Andreas Walther zeigt dort Bilder unter dem Motto »Zusammen wirken«, eine Kombination von Porträts und Naturbildern. Die Ergebnisse sind so ungewöhnlich wie die Herstellungsweise.

Im Jahr 2015 hatte Walther seine Video-Installation »Familienporträts« in der Zentralen Notaufnahme gezeigt. Nun kehrt er nach sieben Jahren mit seiner Kunst ins Haus zurück. Die Ausstellung führt seine 2001 begonnene Serie der Porträts und die seit 2010 immer wieder einmal entstehenden Arbeiten mit Blütenmotiven zusammen und erzeugt damit ein Zusammenspiel, das eine Folge von Fragen eröffnet. Etwa diese: Mit welchen Formen der Aufmerksamkeit begegnen wir Pflanzen? Sprechen uns Pflanzen in einer mit dem Menschen vergleichbaren Weise an?

Dr. Susanne Ließegang, Kunsthistorikerin und Kunstbeauftragte des Klinikums, umkreiste zunächst die Verbindung der zwei Werkgruppen, die auf den ersten Blick ja nicht zu erkennen ist. Andreas Walther frage danach, wie er in der Welt sei, wie sein Gegenüber und was daraus entstehe. Es gehe im Grunde um die Beziehung des Fotografen zum fotografierten Menschen und der abgebildeten Natur. »Und da ist ja nicht nur er und die Welt, sondern auch dieser Apparat, die Kamera, den er als Werkzeug gewählt hat. Die macht ja auch irgendetwas in der Welt.«

Ein ziemlich umfassender Ansatz. Walther porträtiert seine Probanden vis à vis sitzend, mit einer hinter ihm auf einem Stativ befestigten Kamera und einem unsichtbar bleibenden Drahtauslöser. So können die Fotos spontan entstehen, ohne auf einen Moment fixiert zu sein. Walther weicht damit von den bekannten Porträtverfahren ab, bei denen der Moment der Aufnahme bewusst herbeigeführt wird. Seine Bilder zeigen die Menschen denn auch in einer eher ungewöhnlichen Stimmung, sie blicken nicht in die Kamera, schauen auch nicht unbedingt freundlich, eher nachdenklich oder vielleicht sogar melancholisch.

Auch die Blütenbilder geht Walther auf ungewöhnliche Weise an, fertigt viele Bilder der Motive an und konzentriert sich auch hier auf eine spontane Aufnahme, obgleich die Pflanzen ja bewegungslos verharren. »Meine Haltung ist dabei eine ähnliche, absichtslose,« sagte Walther. »Es gehe nicht darum, ein Bild zu finden, sondern darum, »es kommen zu lassen. Darum, in der Atmosphäre zu bleiben«. Auch bei den Porträts werde nicht miteinander gesprochen, sich nicht angesehen. »Wir sind also handlungsentlastet. Wir sind einfach im selben Raum - das reicht ja schon für eine Resonanz. Im Wald mit diesen anderen lebenden Wesen anwesend zu sein, ist vielleicht eine ganz ähnliche Resonanz.«

Die überwiegend recht dunklen Naturbilder zeigen Blüten und Blätter in Wäldern Taiwans. Sie sind farbig, obgleich sie zunächst eher schwarz-weiß anmuten. Doch Walther hat bei der Wahl des Bildausschnitts sowie der digitalen Entwicklung kreative malerische Grundsätze walten lassen; einige Unschärfen lassen die Motive teilweise abstrahiert wirken. Das macht die Bilder klassischen Gemälden viel ähnlicher als Fotografien und zeigt, dass Walthers Ansatz der zurückhaltenden, gleichsam rücksichtsvollen Fotografie zu äußerst sehenswerten Ergebnissen führt: jede Menge Material für stille Momente.

Die Ausstellung läuft bis zum 21. Februar 2023. Für den 6. September und 21. Februar sind Kunst-Gespräche geplant. Weitere Infos dazu gibt es auf der Website www.freundeskreis-der-kunst-im-uniklinikum- giessen.de.

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