1. Startseite
  2. Stadt Gießen

Mehr als nur auf- und abschließen

Erstellt:

Von: Rüdiger Schäfer

giloka_2712_jva2_ebp_271_4c
Heiligabend im Knast: Hessens Justizminister Roman Poseck (3. v. l, vorne) würdigte die Arbeit der Beschäftigten in der JVA in der Gutfleischstraße. Foto: Schäfer © Schäfer

Dienst rund um die Uhr: Hessens Justizminister Roman Poseck besucht JVA in Gießen

Gießen . Eine Wertschätzung ihrer Arbeit erfuhren die Vollzugsbediensteten der Justizvollzugsanstalt (JVA) in der Gutfleischstraße an Heiligabend. Ihr oberster Dienstherr, Hessens Justizminister Prof. Roman Poseck, war aus Wiesbaden angereist, um den 75 Vollzugsbediensteten in Uniform sowie den gut 20 Mitarbeitern der Verwaltung für ihren ganzjährigen Einsatz und für ihr Engagement Dank abzustatten.

Stellvertretend für ihre Kollegen nahmen diejenigen, die an Heiligabend Dienst hatten, die Worte sowie eine kleine Gabe entgegen. Zugegen waren auch Gefängnisleiter Frank Posingies sowie Sicherheitsdienstleiter Thomas Geist. Poseck, der in Gießen Jura studiert hat, sagte: »Mit den Weihnachtstagen kehrt Ende des Jahres Ruhe ein und viele verbringen diese besinnliche Zeit mit ihren Familien. Anders ist es bei denjenigen, die auch an Weihnachten ihren Dienst verrichten.«

Die rund 3000 Bediensteten der 16 Justizvollzugsanstalten nähmen ihren verantwortungsvollen und oft auch schwierigen Dienst im Interesse der Sicherheit und der Resozialisierung wahr - und das rund um die Uhr und an allen Feiertagen.

»In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mir selbst ein Bild von der Tätigkeit im Vollzug machen können. Und ich weiß, dass die Arbeit mit den Gefangenen eine sehr anspruchsvolle ist.« Für die Bediensteten sei es eine besondere Herausforderung, stets die Sicherheit zu bedenken und gleichzeitig auf die Inhaftierten einzugehen, um sie auf das Leben nach der Haft vorzubereiten.

Vielseitiger Beruf

Die Arbeit der Vollzugsbediensteten auf das Ab- und Aufschließen der Zellen zu reduzieren, sei nicht angemessen, wurde in einem anschließenden Pressegespräch mit dem Minister, den Leitern der Anstalt und des Sicherheitsdienstes betont. Betreuung, Beaufsichtigung und Behandlung der Gefangenen seien gefordert. Auch Transportbegleitungen zu den Gerichtsverhandlungen sowie Freigänge zählten ebenso zu den Aufgaben wie das Angebot eines sozialen Trainings, damit es mit der Resozialisierung klappt.

Allerdings sei das Gefangenenklientel im Laufe der Jahre »komplexer« geworden. Im Gegensatz zu früher bestünden immer mehr Abhängigkeiten zu verschiedenen Drogen. »Multitox« wird der Mischkonsum aus Alkohol, Drogen und Aufputschmitteln genannt. Auch Medikamentenabhängigkeiten seien häufig anzutreffen und auch psychologische Auffälligkeiten nähmen zu. Außer den Justizvollzugsbediensteten seien da Psychiater, Psychologe und Arzt gefordert.

Im geschlossenen Bereich sitzen in der Gutfleischstraße rund 120 Gefangene ein, im offenen Vollzug nebenan etwa zwei Dutzend. Alle rechtskräftig Verurteilten sitzen eine Freiheitsstrafe von bis zu 24 Monaten ab. Die verurteilten Schwerverbrecher - wie zu »lebenslänglich« - sind in Butzbach und anderen hessischen Gefängnissen untergebracht. Allerdings werden auch von den Landgerichten Gießen und Marburg in Untersuchungshaft Genommene in der Gutfleischstraße inhaftiert. Diese kann sogar bis zu drei oder vier Jahren andauern - »bis sie dann rechtskräftig verurteilt sind«.

Diese Häftlinge können wählen, ob sie ihre zivile gegen Anstaltskleidung tauschen möchten. Je nach Wunsch werden die Gefangenen in Einzel- oder Doppelzelle untergebracht. Auf dem Areal gibt es viele Freizeitangebote. Neben Sport wurden Trommel- und Fotokurse genannt. Holzschmuck für den Weihnachtsbaum sowie die Ausstattung einer Krippe haben Häftlinge selbst hergestellt. Außer Arbeiten, die Fremdfirmen in der Haftanstalt in Auftrag geben, gibt es auch anstaltseigene Beschäftigungen bei der Verpflegung, beim Spülen, Reinigen oder in der Hauswerkstatt. Alphabetisierungskurse werden angeboten. Viele sprechen auch kein Deutsch. »Ein Dutzend Fremdsprachen gibt es im eigenen Kreis.« Darüberhinaus wird Dolmetschertätigkeit von außen geholt.

Nachwuchs gesucht

Geist wies auf die sehr personalintensive Tätigkeit hin. »Für eine Funktion rund um die Uhr benötigen wir fünfeinhalb Personen.« Poseck kann nicht verstehen, dass JVA-Beamte oftmals belächelt würden »und ihre Arbeit nicht so gewürdigt wird«.

Dem Berufsbild sollte der Stellenwert zukommen, »den er zu Recht verdient«, forderte er. Verwahrt wurde sich gegen die umgangssprachliche Tätigkeitsbezeichnung »Schließer«. Sehr anspruchvolle Arbeit werde hier geleistet, so der Minister. Er hatte abschließend noch ein Anliegen auf der Zunge: »Wir suchen Nachwuchskräfte für eine sehr spannende Arbeit.« Interessierte könnten direkt per E-Mail Kontakt aufnehmen unter poststelle@jva-giessen.justiz.hessen.de.

Es ist auch in Hessen seit langem Tradition, Strafgefangene, deren Freiheitsstrafe vor oder zu Weihnachten endet, unter bestimmten Voraussetzungen vorzeitig zu entlassen. Das Gnadenrecht folgt aus der Hessischen Verfassung. Der einzelne Strafgefangene muss keinen Gnadenantrag stellen. Allerdings scheidet eine vorzeitige Entlassung aus, wenn der Strafgefangene mit der Entlassung nicht einverstanden ist.

Für die, die auch über Weihnachten dableiben müssen, gab es an Heiligabend übrigens das fast in ganz Deutschland obligatorische Gericht: Würstchen mit Kartoffelsalat. Am ersten Feiertag lagen Hähnchenschenkel auf den Tellern.

Auch interessant