Mehr Interesse am Unternehmertum wecken
Eine Unternehmensnachfolge bietet Chancen für berufliche Perspektiven. Die aktuelle wirtschaftspolitische Lage ist schwierig, sodass Interessenten oft zögern, sich eine Nachfolge zuzutrauen.
Gießen (red). Eine Unternehmensnachfolge bietet Chancen für berufliche Perspektiven. Doch die aktuelle wirtschaftspolitische Lage ist schwierig, sodass Interessenten oft zögern, sich eine Nachfolge zuzutrauen. »Gerade deshalb muss von der Politik die richtige Weichenstellung vorgenommen werden, um Gründungen insgesamt attraktiver zu machen«, erklärte Jochen Ruths, IHK-Vizepräsident auf der Podiumsdiskussion »Nachfolgegründung - Die Zukunftsperspektive!« in der Gießener Geschäftsstelle der IHK. Zu der Veranstaltung hatte der IHK-Verbund Mittelhessen alle im Hessischen Landtag vertretenen Parteien eingeladen.
»Als IHK wollen wir dazu beitragen, die Antworten der Politik transparenter zu machen«, so Ruths. Moderator des Abends war Carsten Jens, Chef vom Dienst bei HR-Info. Der IHK-Verbund Mittelhessen umfasst die IHKs Gießen-Friedberg, Lahn-Dill. Limburg und Kassel-Marburg. Der Blick auf einige Zahlen macht deutlich: Der Handlungsbedarf ist groß. Laut einem KfW-Monitoring war 2021 fast jeder dritte Unternehmer über 60 Jahre alt. Bis 2025 streben jedes Jahr rund 120 000 Unternehmen eine Nachfolge an. Jedoch gab es in den vergangenen Jahren nur rund halb so viele Nachfolgegründungen, nämlich durchschnittlich 60 000.
Wenig Interesse an Nachfolge
»Es gehören viel Mut und ein breites Kreuz dazu, ein Unternehmen zu übernehmen«, unterstrich Jens. Doch Interessenten seien Mangelware. »Warum diese Verzagtheit?«, fragte der Moderator. Hohe Unternehmenssteuern und Energiepreise seien zwei wesentliche Gründe, warum zu wenig Unternehmen interessierte Nachfolger fänden, so Jens weiter.
Elisabeth Kula, Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag, hielt dem entgegen, dass es dennoch ab fünf Millionen Euro Unternehmensvermögen eine Vermögenssteuer in Höhe von einem Prozent brauche. »Im ländlichen Raum gibt es im Gesundheitswesen und für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs einen enormen Investitionsbedarf«, so ihre Begründung. Eine Vermögenssteuer würde die Bereitschaft zu gründen oder zu übernehmen noch stärker ausbremsen, kritisierte Lisa Deißler, Mitglied des Hessischen Landtags für die FDP. Deutschland habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem, ergänzte Andreas Lichert, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Alternative für Deutschland in Hessen. Steuersenkungen seien das Mittel der Wahl, um die richtigen Anreize für Nachfolge und Unternehmertum zu setzen.
Zusätzlich zu einer Anhebung der Vermögenssteuer sprach sich Kula auch für eine Erhöhung der Erbschaftssteuer aus, wobei es einen Substanzschutz für KMU geben solle. Gesellschaftlicher Reichtum werde in erster Linie vererbt, hohe Vermögen sollten stärker zur Verteilungsgerechtigkeit beitragen.
Wissen fehlt
Doch nicht nur das unsichere Umfeld lässt potenzielle Nachfolger zögern. Vielen fehlt es auch am nötigen Wissen. Mit zwei Schulstunden Politik und Wirtschaft ab der Sekundarstufe zwei zeigte sich Stephan Schmidt, Vizepräsident der IHK-Limburg und geschäftsführender Gesellschafter eines Tonbergbauunternehmens mit Sitz im Westerwald, nicht zufrieden. »Wie können wir Leistungsbereitschaft fördern, wenn wir eine Generation von Halbtagskräften heranziehen?«, fragte er provokativ.
Ein Zuhörer wies auf Skandinavien hin, wo Bauprojekte im Schulunterricht geplant würden. Dies wünsche er sich auch hier. Mehr Wirtschaft in der Schule sei nicht über bestimmte Fächer abzubilden, so Lisa Deißler. Es gelte, lebensnahe Projekte in bestehende Fächer hineinzutragen. »An den Fachoberschulen und berufsbezogenen Gymnasien findet genau das - je nach Standort - schon statt«, erklärte Michael Ruhl, Landtagsabgeordneter der CDU. Praxisnähe sei in diesen Schulformen gegeben und für manchen Schüler sei eine solche Schulform die bessere Wahl, wenn sich die berufliche Richtung schon im Jugendalter abzeichne.
Dass auch ein Bürokratieabbau zwingend notwendig ist, um Anreize zu schaffen, war Konsens in der Runde. »In Hessen müssen wir sogar noch Tankrechnungen aufkleben für einen Zuschuss - das ist nicht 2023«, kritisierte der SPD-Landtagsabgeordnete und Sprecher für Wirtschaftspolitik, Tobias Eckart. Eine Unternehmensgründung sollte auf staatlicher Seite schneller abgewickelt werden.
In Mittelhessen mit seiner starken Hochschulbasis, einer dynamischen Gründertätigkeit und intensiven Vernetzung würden die ländlichen Räume direkt von weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung profitieren. Kaya Kinkel, Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion für Energie, erinnerte daran, dass ländliche Räume durch die Corona-Pandemie einen Boom erfahren hätten aufgrund der Lebensqualität, die es dort gebe.