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»Mein schönstes Weihnachtsgeschenk«

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Von: Petra A. Zielinski

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Vor zwei Jahren hat Senila Rücker Stammzellen gespendet. Foto: DKMS © DKMS

Selina Rücker aus Gießen spendet Stammzellen für Mann in den USA

Gießen . 7 367 923 Frauen und Männer zwischen 18 und 61 Jahren sind aktuell bei der DKMS, deren Haupttätigkeitsfeld die Registrierung von Stammzellenspendern mit dem Ziel Blutkrebspatienten zu heilen ist, registriert. Eine von ihnen ist die Gießenerin Selina Rücker. »2016, kurz nach meinem 18. Geburtstag, habe ich mich bei DKMS angemeldet«, erzählt sie. Auch ihre ältere Schwester und ihre Mutter seien registriert.

Nach dem Erhalt einer Bestätigungsmail habe sie lange Zeit nichts mehr von der gemeinnützigen Organisation gehört, erzählt die Studentin, die aktuell ihre Masterarbeit schreibt. Bis vor zwei Jahren überraschend das Telefon geklingelt habe. »Ein Mensch schwebte in Lebensgefahr und meine Stammzellenspende könnte ihm vielleicht das Leben retten«, hieß es. Nach einer Untersuchung inklusive Blutabnahme stand Mitte Dezember 2020 fest, dass die damals 22-Jährige tatsächlich als Spenderin in Frage kam. »Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk.«

Es folgte eine aufregende Zeit, in der Selina Rücker neben der Vorbereitung auf die Stammzellenspende auch noch ihre Bachelorarbeit in biopharmazeutischer Technologie schrieb. Die für Ende Januar 2021 vorgesehene Stammzellenspende musste aufgrund des schlechten Zustandes des Patienten auf Ende Februar verschoben werden. »Bei 90 Prozent der Fälle, wie auch in meinem, handelt es sich um eine periphere Entnahme. Nur bei zehn Prozent der Spender erfolgt die Knochenmarkentnahme unter Vollnarkose aus dem Beckenkamm.«

Fünf Tage vor der Spende habe sie sich ein Medikament spritzen müssen, das zur Vermehrung der Stammzellen beitrage und dafür sorgt, dass die Stammzellen vom Beckenkamm in die Blutbahn übergehen. Im Kölner Zentrum für Zellgewinnung »Cellex« wurden der Studentin schließlich zwei Zugänge - in jedem Arm einer - für die Stammzellenspende gelegt. »Mit mir im Raum waren elf weitere Spender«, erinnert sie sich. »Und obwohl insgesamt mehr Frauen bei DKMS registriert sind, war ich im Raum die einzige.«

Eine Stammzellenspende kann fünf Stunden und länger dauern. Und damit die Zeit schneller vergeht, durfte Selina Rücker Musik hören und Fernsehen schauen. »Wie viele Milliliter benötigt werden, hängt vom jeweiligen Patienten ab.« Mit Blutspenden hat die junge Frau schon Erfahrung. »Aber obwohl die Stammzellenspende länger als eine normale Blutspende gedauert hat, habe ich mich danach nicht so matt gefühlt«, erzählt sie.

Noch am Tag der Spende hat die Studentin erfahren, dass ihre Stammzellen an einen Mann über 30 Jahre aus den USA gehen. Da sie bei DKMS in ein »Gesundheits-Update« eingewilligt hatte, erhielt sie im Januar dieses Jahres erstmals anonymisierte Post von »ihrem« Patienten. Er schrieb, dass die Stammzellen von seinem Körper gut angenommen würden und dass er glücklich sei, durch diese Spende die Chance auf ein zweites Leben erhalten zu haben.

Zwei Jahre lang muss der Kontakt anonym bleiben. Sollten dann Spender und Empfänger einverstanden sein, können die Adressen ausgetauscht und persönlicher Kontakt geknüpft werden. Nach Auskunft von DKMS ist die Vorgehensweise hier länderabhängig. »Es gibt Länder, wie beispielsweise Italien, Frankreich oder Belgien, wo der Kontakt immer anonym bleiben wird«, erklärt Julia Ducardus (Mediacenter DKMS).

Ebenfalls im Januar 2022 sieht Selina Rücker auf Instagram einen Aufruf der DKMS. Gesucht werden junge Menschen, die sich als Volunteers ehrenamtlich engagieren, beispielsweise indem sie an Schulen für eine Registrierung werben. »Ich wollte meine positiven Erfahrungen nutzen, um andere junge Menschen für die Themen Blutkrebs und Stammzellenspende zu sensibilisieren.«

Als Freiwillige im Einsatz

In ihrem näheren Umfeld hatte die Studentin bereits erfolgreich für DKMS geworben. Bei einem gemeinsamen Vorbereitungsworkshop in Köln lernte sie die anderen Helfer kennen, die meisten von ihnen Studierende in ähnlichem Alter. »Viele von ihnen haben bereits Stammzellen gespendet, Voraussetzung ist das aber nicht.« Wichtig sei vielmehr, jungen Menschen klarzumachen, wie leicht es sein kann, anderen zu helfen. Achtmal war die junge Frau bereits im Einsatz für die gute Sache. Besonders in Erinnerung ist ihr dabei die DKMS-Aktion auf dem Wacken Open-Air geblieben. »Das war ein absolutes Highlight, obwohl ich normalerweise keine Metal-Musik höre. Die Tage waren zwar auch anstrengend, aber die Stimmung vor Ort lässt sich kaum beschreiben. Ich war beeindruckt, wie viele Menschen wir vor Ort erreichen konnten. Es gab viele lustige und teilweise auch sehr emotionale Gespräche.«

Ob bei der Arbeit auf Festivals, bei Registrierungsaktionen oder während der regelmäßigen Workshops: Networking ist nach Auskunft von Selina Rücker ein großes Thema und nur einer von vielen Aspekten, die Selina an ihrem Ehrenamt begeistern. »Es treffen viele junge Menschen aus ganz Deutschland aufeinander, die sich aber alle für die gleiche Sache einsetzen. Man lernt unterschiedliche Menschen kennen, tauscht sich aus und entwickelt ein Zugehörigkeitsgefühl.«Der Einsatz als Volunteer ist auf ein Jahr begrenzt, mit der Möglichkeit, um ein weiteres Jahr zu verlängern. Am Ende erhalten die Teilnehmenden ein qualifiziertes Zeugnis, das sich auch für die Jobsuche einsetzen lässt. Für Selina Rücker ist es aber vor allem das persönliche Wachstum, das sie jetzt schon aus der Zeit mitnimmt: »Ich habe mich total weiterentwickeln können und bin jetzt viel souveräner, wenn ich beispielsweise Vorträge halten muss. Bei meiner ersten Aktion an einer Schule war ich noch sehr nervös, man spricht ja nicht jeden Tag vor über 100 Menschen.«

Seit 2018 unterstützen jährlich etwa 140 Volunteers die DKMS in ihrer Arbeit. Mehr als 117 000 Menschen konnten so bereits typisiert werden. Hieraus sind bis heute 615 Echtspender hervorgegangen, die mit Hilfe ihrer Stammzellen ihnen fremden Menschen eine zweite Chance auf das Leben gegeben haben.

Nur ein Prozent der Registrierten passt zu Patienten

Ab dem kommenden Monat darf auch Selina Rücker wieder spenden, was sie gerne tun würde. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person zweimal zu einem potenziellen Empfänger passt, sehr gering. »Nur etwa ein Prozent aller Registrierten kommen überhaupt an die Reihe«, weiß Julia Ducardus. »Wir sind immer bemüht, eine größtmögliche Übereinstimmung der HLA (Humane Leukozytenantigene) - der Fingerabdrücke der Zellen - zu erzielen. Je bunter die Wurzeln eines Menschen, desto einzigartiger sind seine Merkmale.« Die Wahrscheinlichkeit zu spenden, sei in den ersten fünf Jahren nach der Registrierung am höchsten. Voraussetzung sei immer, dass keine Krankheiten vorliegen würden.

Die Anzahl der Spender sei Anfang 2022 zurückgegangen, nehme aktuell aber wieder zu. »Etwa 15 Menschen spenden in Deutschland pro Woche Stammzellen, weltweit sind es 20«, erklärt Julia Ducardus. Die DKMS arbeitet mit Partnern in zahlreichen Ländern, auch außerhalb Europas, zusammen. Da aus Altersgründen etwa 100 000 Menschen pro Jahr aus der Spenderkartei fallen, würde dringend Nachwuchs gesucht. Denn allein 2019 erhielten 40 532 Menschen in Deutschland die Diagnose Blutkrebs.

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