Melodie und Melancholie

Die Berliner Sängerin Esther Lorenz und ihre Begleiter Peter Kuhz glänzen mit jüdischen Liedern vergangener Jahrhunderte in der Pankratiuskapelle.
Gießen . Warm war’s nicht am Donnerstagabend in der Pankratiuskapelle, aber dafür herrschte eine ganz wunderbare Stimmung. Sopranistin Esther Lorenz und Gitarrist Peter Kuhz gastierten mit ihrem Programm »Von Toledo nach Jerusalem« mit hebräischen Liedern. Ihre kammermusikalische, ja innige Performance berührte das Publikum spürbar.
Kein Wunder, das Duo entpuppte sich als handwerklich überdurchschnittlich kompetent. Die Berlinerin Lorenz setzte in ihrer Moderation die Lieder in einen inhaltlichen Rahmen und zog einen großen Bogen von den Ursprüngen der europäischen Juden in Spanien und Deutschland bis zu ihrer Vertreibung und Auswanderung in alle Welt.
Musik des spanisch-jüdischen Mittelalters sowie weltliche und geistliche Lieder, auch des Ostjudentums, sollten es an diesem Abend werden. Die Titel, meist ursprünglich für Klavier oder Orchester geschrieben, hatte Instrumentalist Kuhz für die Gitarre bearbeitet.
Den ersten Titel realisierte Lorenz sehnsuchtsvoll bis schwärmerisch, mit lieblicher und warmer Stimme - einfach schön. Ihre unverstellte Emotionalität ließ schon eine spezielle Saite im Zuhörer anklingen. Später folgte ein Lied des französischen Chansonniers Georges Moustaki, »Hinach Jaffa!« (»Du bist schön«). Mit zart romantischer Stimme und einem Hauch Melancholie realisiert, war das schon etwas Besonderes. Ganz sanft, weich, recht leise trat die Gitarre hinzu. Der Abschluss wurde gemeinsam hingehaucht. Das erste Glanzlicht des Abends.
Die Geschichte der europäischen Juden, die bis in die Zeit der Römer zurückreicht, ist eine Vertreibungsgeschichte, erläuterte Lorenz in ihrer Moderation. Nach dem Ende der Blütezeit jüdischer Kultur in Spanien im Jahr 1492 durch ein Ausweisungsedikt der katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragonien begann ein massiver gesellschaftlicher wie kultureller Exodus, als rund 500000 Juden gezwungenermaßen entweder zum Christentum übertraten oder nur Monate Zeit hatten, das Land zu verlassen. Juden, die sich weigerten, zu konvertieren, ließen sich im übrigen Mittelmeerraum nieder und behielten dabei zum Teil ihre mitgebrachte Kultur und Sprache bei, etwa das Judenspanisch, ein Gemisch aus Hebräisch und Spanisch. Lorenz bilanzierte zugleich einen »großen Verlust für die spanische Kultur««
Viele Feinheiten zu entdecken
»Adio querida«, ein Traditional, brachte dann eine Mischung aus jüdischer Melancholie und spanischer Melodieführung, was eine reizvolle Klanggestaltung ergab. Mit der Zeit ließen sich immer mehr vokale und instrumentale Feinheiten aus dem Programm des Duos heraushören, neue Klangdetails entdecken.
In mehreren instrumentalen Beiträgen überzeugte Kuhz auch als Solist. Seine große handwerkliche Sicherheit ließ die Zuhörer tief ins Material einsinken, ein seltener Genuss. Die gute Modulation, differenzierter Anschlag, häufig begleitet von einem versierten Flageoletteinsatz, bewirkten wohltuende Hörerlebnisse. Lorezens klare, oft lieblich angesetzte Stimme verzichtete dabei auf jede große Geste und gestaltete das Material vielmehr bis ins letzte Detail bewusst und liebevoll.
War das generelle Tempo eher gemäßigt, oft andächtig, so gab es bei «»Ura, ura, ura kevodi« ein leicht tänzerisches Geschehen mit flotten Synkopen auf der Gitarre. Leicht und frei fühlte sich das an. Und bei »El rei Nimrod«, einem sephardischen Titel, flossen Flamenco-Elemente ein, ein intensiver, stimmungsvoller Titel. Das Publikum spendete schließlich reichlichen, kraftvollen Applaus. Als Zugabe gab es ein gesungenes Duett, einen kleinen Kanon.
Veranstalter des Konzertprogramms waren die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar und die evangelische Stadtkirchenarbeit Gießen.