Millionen von Hirnzellen sterben ab

Beim »Gießener Schlaganfalltag« am 22. März wollen Neurologen und andere Experten des Uniklinikums (UKGM) die Bevölkerung über Symptome, Therapiemöglichkeiten und Nachsorge informieren.
Gießen . Von einem Moment auf den anderen verspürt man ein taubes Gefühl etwa in Hand oder Arm, kommt es zu Sprach- oder Sehstörungen. Das sind nur ein paar der Symptome, die auf einen Schlaganfall hindeuten können, der durch eine Mangeldurchblutung im Gehirn ausgelöst wird. Und was nur die wenigsten wissen dürften: »Im Gegensatz zu einem Herzinfarkt tut ein Schlaganfall nicht weh«, sagt Prof. Hagen Huttner im Gespräch mit dem Anzeiger. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass diese Volkskrankheit von Betroffenen häufig nicht ernst genug genommen wird. Nicht zuletzt deshalb lädt am Mittwoch, 22. März, ab 15 Uhr das Universitätsklinikum Gießen (UKGM) mit seinen Kliniken für Neurologie und Neurochirurgie sowie den Abteilungen für Neuroradiologie und Gefäßchirurgie die interessierte Öffentlichkeit zum »Gießener Schlaganfalltag« ein.
Riesige Fortschritte
Mit jeder Minute, die ein Schlaganfall nicht behandelt wird, »verliert ein Mensch circa zwei Millionen Hirnzellen«, verdeutlicht Huttner, der Direktor der Neurologischen Klinik ist, das Risiko, daran auch versterben zu können. Nach Herzkreislauferkrankungen und Krebs sei der Schlaganfall die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Gleichzeitig haben jedoch die Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht. »Die Studienlage zeigt: Auch im Alter 80 plus profitiert man extrem von der Therapie«, berichtet Prof. Tobias Struffert, Direktor der Abteilung für Neuroradiologie, der die Veranstaltung gemeinsam mit Huttner organisiert hat.
Oberstes Ziel der Therapie ist die medikamentöse Auflösung (Thrombolyse) oder in schwereren Fällen operative Entfernung des Gerinnsels, das den Blutfluss in einer der Hirnarterien stark einschränkt oder ganz verhindert. Wodurch die nachfolgenden Gehirnareale nicht mehr richtig versorgt werden können.
Im Jahr 2008 noch sei die Prognose des Erfolges dieser sogenannten Lyse mehr als viereinhalb Stunden nach dem Schlaganfall »ganz schlecht« gewesen, blickt Struffert zurück. Dieses Zeitfenster ist durch die Optimierung des Verfahrens stetig gewachsen. 2015 kam die Kathetertherapie hinzu, bei der ein Neurochirurg wie er über den Zugang in der Leiste winzige OP-Instrumente bis hoch zur Gehirnarterie führt, um die Verstopfung (Thrombus) zu beseitigen. Dies geschehe unter ständiger Kontrolle des Kopfinneren des Patienten mittels der Angiographie, eines radiologischen Bildgebungsverfahrens. »Hierfür brauchen wir heute nur noch eine geringe Strahlendosis«, beruhigt er etwaige Befürchtungen. Seitdem hat sich das gesamte Feld »unglaublich entwickelt«, bekräftigt Huttner.
Symptome erkennen
Die typischen Symptome eines Schlaganfalls lassen sich anhand des international gültigen FAST-Tests erkennen. F steht hierbei für Face (dt. Gesicht): Hängt beim Lächeln ein Mundwinkel herab, deutet das auf eine Lähmung hin, die »immer halbseitig auftritt«, so Huttner. Bei einer Minderdurchblutung der rechten Hirnhälfte zeigt sich diese auf der linken Körperseite, und umgekehrt. »Ist das linke Hirn betroffen, dann auch das dort liegende Sprachzentrum«, ergänzt der Neurologe.
Der Buchstabe A steht dafür, dass nach einem Schlaganfall oftmals nur einer der Arme gehoben werden kann. S weist auf die gestörte Sprachfähigkeit hin, die sich meist in einer verwaschen klingenden Aussprache zeigt, Und T steht für Time (dt. Zeit): Statt zu zögern, sollte auch im Verdachtsfall die Nummer 112 gewählt werden, warnen die Ärzte.
»Zeit ist die bestimmende Komponente bei der Schlaganfall-Behandlung«, betont Huttner. Denn hierbei handele es sich um »eine Notfallsituation höchster Priorität«. Leider aber sei es in Deutschland wie auch weltweit »sehr unbefriedigend«, wie auf eine solche Situation reagiert wird. »Wir wollen daher mit unserer Veranstaltung das Bewusstsein dafür in der Bevölkerung schärfen«, haben er und seine Mitstreiter sich vorgenommen.
In diesem Zusammenhang sei es wichtig, auch das familiäre und übrige Umfeld »mitzunehmen«, sagt Struffert. Denn gerade plötzlich auftretende Symptome wie ein herunterhängender Mundwinkel oder eine undeutliche Sprache fallen dem Betroffenen selbst zumeist gar nicht auf.
Auch Jüngere können sich nicht in Sicherheit wiegen. Wenngleich solche Schlaganfall-Patienten »bei uns nur drei bis vier Mal pro Jahr vorkommen und sehr selten sind«, berichtet Huttner. Angesichts der im Durchschnitt älter werdenden Bevölkerung rechnen er und Struffert damit, »dass wir in Zukunft immer häufiger mit Schlaganfällen konfrontiert sein werden«.
An der Neurologischen Klinik des UKGM in Gießen werden pro Jahr etwa 1500 Schlaganfall-Patienten behandelt. Die Stroke Unit, eine auf die schnelle Behandlung solcher Fälle spezialisierte Abteilung, verfügt über zehn Betten. Dabei soll es jedoch nicht bleiben. »Wir wollen ein neurovaskuläres Zentrum werden«, also die Behandlung von Erkrankungen der Blutgefäße in Gehirn und Rückenmark weiter ausbauen, gibt der Klinikdirektor Einblick in die Zukunftspläne.
Der »Schlaganfalltag« findet am Mittwoch, 22. März, von 15 bis 18 Uhr im Medizinischen Lehrzentrum (Hörsaal II) in der Klinikstraße 29 statt. Die Teilnahme ist frei und keine Anmeldung notwendig. Nach jeweils etwa 15-minütigen Vorträgen zu Themen rund um Therapien und Nachsorge ist ab 16.45 Uhr eine Podiumsdiskussion geplant. Die Besucher haben die Möglichkeit, Fragen an die Experten zu stellen. Zudem wird das Ganze von einer Industrieausstellung begleitet. Schirmherren sind Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher und der hessische Sozialminister Kai Klose.
