Mit Herz und sozialem Engagement

Seit 25 Jahren betreibt Edgar Niebergall samstags den beliebten Trödelmarkt an der Rodheimer Straße in Gießen. Mehr als zwei Millionen Schnäppchenjäger haben dort bereits gestöbert.
Gießen . Für Edgar Niebergall beginnt jeder Samstag um 4 Uhr morgens - völlig freiwillig und das seit 25 Jahren. In diesem Vierteljahrhundert hat er den Flohmarkt an der Rodheimer Straße zu einer festen Größe und einem beliebten Anlaufpunkt für Schnäppchenjäger aus der Region gemacht. Mit seinem Faible für »echten Trödel und Altwaren« hatte er damals eine Marktlücke entdeckt und erfolgreich besetzt. Mehr als zwei Millionen Besucherinnen und Besucher dürften es gewesen sein, die seitdem an den Ständen auf der Suche nach gebrauchten Spielsachen, Klamotten, Haushaltsgeräten und Co. gestöbert haben. In Zukunft soll zusätzlich noch ein Fokus auf das Thema »Upcycling« gelegt werden. Alte, kaputte oder ausrangierte Dinge werden dabei für neue Produkte wiederverwertet. Und immer wieder hat Edgar Niebergall diese Plattform auch genutzt, um mit besonderen Aktionen Geld für soziale Einrichtungen zu sammeln. Das geplante Fest zum Jubiläum steht zwar noch aus, im Interview mit dem Anzeiger zieht er aber bereits Bilanz.
25 Jahre gibt es nun bereits den Trödelmarkt. Was ist Ihre Motivation, dafür nun schon über einen solch langen Zeitraum Samstag für Samstag so früh morgens aufzustehen?
Bereits lange vor dem Start unseres Trödelmarktes hatte ich großes Interesse an Floh- und Krammärkten. Ich war oft als Besucher, aber auch als Händler unterwegs. Die Neugier, alte kuriose Sachen zu entdecken, meine Sammelleidenschaft und der Spaß am Aushandeln der richtigen Preise haben mich stets angetrieben. So war es nur folgerichtig, einen solchen Markt selbst zu gründen sowie Händler und Besucher auf meine Art zusammenzubringen. Dass dabei auch ein wenig für mich selbst abfällt, ist ein willkommener Nebeneffekt. Und was das frühe Aufstehen betrifft: Mit zunehmendem Alter braucht man weniger Schlaf!
Wie ist die Idee für den Trödelmarkt entstanden?
Damals gab es schon einen Flohmarkt in Gießen, der aber eher einem Basar glich und auf dem überwiegend Neuware angeboten wurde. Echter Trödel und Altware von privaten Händlern waren eher die Ausnahme. Diese Marktlücke haben wir für uns entdeckt und erfolgreich besetzt. Anfangs wurde der Markt nur im Sommer einmal pro Monat abgehalten, dann später wöchentlich und auch im Winter. Nach dem Aus des Basars am Schlachthof sind wir inzwischen der einzige Flohmarkt in Gießen, der sich großer Beliebtheit bei Gießenern sowie auswärtigen Besuchern und Händlern erfreut.
Haben Sie den Markt von Anfang an alleine auf die Beine gestellt?
Da ich zunächst noch bei Karstadt beschäftigt war, habe ich mir die Arbeit mit einem Partner geteilt. Und wir hatten damals vier bis fünf Angestellte. Heute stemme ich die Arbeit allein und ich komme mit drei Angestellten aus.
Wie läuft für Sie ein normaler Trödelmarkt-Tag ab?
Aufstehen um 4 Uhr, Eröffnung des Marktes um 6 Uhr, Schließung um 14 Uhr. Die letzten Arbeiten sind dann um 16 Uhr beendet. Zu meinen konkreten Aufgaben gehört, Stammplätze und Plätze für Neuanbieter zu vergeben, Standgebühren einzusammeln, die Autos einzuweisen, die Ordnung auf dem Parkplatz zu überwachen, Toilettenwasser zu besorgen, aufzuräumen, Ansprechpartner für Besucher und Händler zu sein und Konflikte zu schlichten. Insgesamt bin ich sehr stolz darauf, dass es fast nie irgendwelche Zwischenfälle oder Auseinandersetzungen gab.
Gibt es eigentlich so etwas wie den typischen Trödelmarktbesucher?
Viele Besucher mit Migrationshintergrund besuchen unseren Markt, sogar mit der ganzen Familie, auf der Suche nach gebrauchten Spielsachen, Kleidungsstücken und Haushaltswaren. Es gibt aber auch Schnäppchenjäger, die schon früh morgens beim Auspacken der Ware dabei sind und ihren Vorteil suchen.
Was macht Ihren Trödelmarkt besonders?
Wir bieten mit ganz wenigen Ausnahmen nur echten Trödel und Altwaren von vorwiegend privaten Händlern an. Wir achten sehr auf Sauberkeit - gerade bei den Toiletten - und auf die Freundlichkeit unseres Personals, sind vergleichsweise bescheiden mit unseren Standmieten und bieten Künstlern, Vereinen, Schulen oder sozialen Einrichtungen unentgeltlich eine Plattform für ihre Anliegen an, um damit bürgerschaftliches Engagement zu unterstützen.
Apropos: Der Benefizgedanke spielt für Sie seit jeher eine wichtige Rolle: Woher rührt dieses Engagement für den guten Zweck?
Meine soziale Einstellung bringe ich aus dem Elternhaus mit, dort hat das stets eine große Rolle gespielt. Ich führe das auf meine Weise fort, auch mit Hilfe des Trödelmarktes.
Wen haben Sie im Laufe dieses Vierteljahrhunderts alles bedacht?
Das sind die SOS-Kinderdörfer, das Hospiz »Haus Samaria«, der Hospiz-Verein Gießen und die »Station Peiper« der Gießener Uniklinik. Die Spenden kommen vor allem Gießener Einrichtungen zugute, weilt dort die Unterstützung unmittelbar sichtbar und nachvollziehbar ist.
Immer wieder haben Sie sich besondere Aktionen einfallen lassen. Welche waren das zum Beispiel?
Ich habe gerne Fotoausstellungen zur Gießener Stadtgeschichte organisiert, zudem eine spezielle Fotoausstellung zur Zerstörung Gießens im Zweiten Weltkrieg. Das Interesse an den oft noch unveröffentlichten Aufnahmen war jedes Mal groß. Das hat mir gezeigt, welche Faszination das alte Gießen ausübt.
Welche Erlebnisse rund um den Trödelmarkt sind Ihnen sonst noch in Erinnerung geblieben?
Einem Besucher wurde von einem Mitarbeiter durch Mund-zu-Mund-Beatmung das Leben gerettet. Eine Besucherin hätte fast auf dem Trödelmarkt ihr Kind zur Welt gebracht und konnte gerade noch rechtzeitig mit dem Notarzt in die Klinik gebracht werden.
Welche Trödelstücke waren besonders kurios?
Ein von einem Besucher für fünf Euro erstandenes Bild ist später für 15 000 Euro weiterverkauft worden.
Inwieweit mussten Sie auch Enttäuschungen wegstecken?
Seit Beginn des Trödelmarktes und eigentlich bis heute ist immer wieder die Rede davon, dass der Platz für eine andere Bebauung vorgesehen ist und wir demnach weichen müssten. Aktuell heißt es, der Markt müsse bis 2024 seinen angestammten Standort verlassen. Zum Glück haben wir immer eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt Gießen gepflegt, die uns für diesen Fall auch eine Ausweichmöglichkeit auf dem Parkplatz an den Hessenhallen angeboten hat. Gleichwohl hängt das Damoklesschwert der Räumung die ganze Zeit über uns.
Wie groß ist der Markt inzwischen?
Im Sommer sind es geschätzt pro Markttag 2000 bis 3000 Besucher, im Winter etwas weniger. Etwa 100 Händler stellen ihre Waren aus. Wenn man das hochrechnet, ergeben sich in 25 Jahren weit über zwei Millionen Besucher.
Haben Sie einen Überblick, wie viele Trödel-Gegenstände in 25 Jahren ihren Besitzer gewechselt haben?
Die Händler müssen mir als Betreiber des Trödelmarktes keine Auskunft über die Umsätze oder Zahlen der verkauften Ware geben. Geschätzt dürfte die Zahl der gehandelten Trödel-Gegenstände aber auch mehrere Millionen betragen.
Wie viele Jahre kommen unter Ihrer Verantwortung zu den 25 noch hinzu?
Solange Besucher und Händler Interesse an unserem Trödelmarkt haben, ich gesund bleibe und Spaß daran habe, werde ich mit Herz und sozialem Engagement dabei sein und diesen besonderen Trödel- und Krammarkt weiterführen.
