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»Mit Kitsch kann man umgehen«

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Er dockt mit seinen neuen Programm »L.I.E.B.E« wieder an der deutschen Schlagergeschichte an: Götz Alsmann. Foto: Universal Music © Universal Music

Götz Alsmann spielt am Montag in Gießen Jazz-Schlager aus den 1920ern bis 60ern. Im Interview spricht er über einen Bruch, der den guten vom schlechten Schlager trennt.

Gießen. Die Meisten kennen ihn als den Mann mit der Tolle, der rund 20 Jahre zusammen mit Christine Westermann durch die WDR-Sendung »Zimmer frei« führte. Vor allem aber ist Götz Alsmann ein virtuoser Musiker, der sich mit großer Leidenschaft dem Jazz und Schlager widmet. Am Montag steht er mit seiner Band auf der Bühne der Gießener Kongresshalle, um Lieder der Liebe zu spielen, die aus den 1920er bis 60er Jahren stammen. Anlass für ein paar Fragen an den vielfach ausgezeichneten 65-Jährigen.

Herr Alsmann, Sie kommen mit Ihrem aktuellen Programm »L.I.E.B.E«. nach Gießen. Knüpft es an die Trilogie mit den drei Alben an, die Sie in den vergangenen Jahren in Paris, New York und Rom aufgenommen und für die Sie sich mit der jeweiligen Musiktradition dieser Länder auseinandergesetzt haben?

Nein, gar nicht. Eine Trilogie hat ja nun einmal keinen vierten Teil. Wir sind inhaltlich jetzt wieder da, wo wir vor der Trilogie waren: Wir docken wieder an der deutschen Schlagergeschichte an.

Und wie finden Sie dafür Ihr Material. Sie steigen tief ins Archiv?

Ganz genau. Ich habe ein eigenes Archiv, bin Sammler von alten Tonträgern und Noten. Und schaue dort nach, wo die Sonne nicht hinscheint.

Wo ist das? In Ihrem Keller?

In meinem Atelier.

Und wie finden Sie all diese Sachen für ihre Sammlung?

Die Noten habe ich teilweise von Leuten, die in der Nachkriegszeit als Tanzmusiker gearbeitet haben. Schellackplatten kommen von überall her: Trödler, Flohmärkte und Fachhändler. Und ich sammle ja auch schon seit 1972, 73, also seit mittlerweile 50 Jahren. Da kommt einiges zusammen.

Und auf welche Stücke fiel Ihre Wahl für das aktuelle Programm?

Das ist ein ziemlich breitgefächertes Repertoire. Es beginnt in der Zeit der sogenannten Silbernen Operettenära, also im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts. Dann geht es weiter mit Schlagern der Nachkriegszeit bis hin zu Bossa-Nova-Nummern der 60er Jahre.

Die werden von Ihnen dann umarrangiert?

Genau.

Und was ist das Besondere an den Stücken, die Sie für die Bühne ausgewählt haben?

Die Auswahl hat ganz einfache Gründe. Erstens: Die Stücke gefallen mir. Zweitens: Sie lassen sich gut auf meine Art singen. Drittens: Meine Band kann etwas mit meinen Arrangements anfangen. Man muss manches ausprobieren und versuchen, ein Gespür dafür zu entwickeln, was gut funktioniert und was nicht.

Stellen Sie das Material zu Beginn auch Ihren Musikern vor?

Das ist als Bandleader meine Aufgabe. Aber wenn wir proben, ist konstruktive Mitarbeit schon an der Tagesordnung. Die Arrangements müssen ja auch zum Klingen gebracht werden. Wenn wir mit den Proben beginnen, verteile ich Notenblätter, ganz klassisch. Aber man merkt: Nicht alles, was zuhause am Schreibtisch oder auf dem heimischen Klavier gut klingt, klingt auch im Studio gut. Da muss man schon manchmal nachbessern und feinschleifen.

Sie haben das Material in den legendären Hansa-Studios in Berlin eingespielt. Das sind die Studios, in denen David Bowie in den 70ern war?

Der war wohl mal da, stimmt.

Merkt man dem Ort seine Patina, seine Geschichte an?

Man merkt, dass das kein ganz neues Studio mehr ist. Insofern knüpft es schon an die Trilogie an, weil wir auch da dreimal in wirklich legendären, aber sehr alten Studios waren: in Paris im Studio Feber, in New York bei Sear Sound und in Rom im alten Studio von Ennio Morricone. Das sind natürlich legendäre Klang-Laboratorien. Insofern knüpft der Besuch im Hansa-Studio da sicherlich an.

Wie verhält es sich in den alten deutschen Schlagern eigentlich mit dem Kitsch? Diese Lieder haben ja häufig einen ganz anderen Witz als die Schlager, die wir aus den 1970ern kennen ...

Mit Kitsch kann man auch umgehen. Kitsch ist nicht von Haus aus schlimm. Der zwischenzeitliche schlechte Ruf des Schlagers rührt ausschließlich aus seiner Phase ab circa 1968 her. Damals stieg eine andere Generation von Komponisten und Autoren ins Schlagergeschäft ein. Die Generationen vorher waren Operetten- und Kabarett-geschult. Das hat sich dann geändert und kulminierte in dem vollkommenen Niedergang weiter Teile des Schlagers in den 70ern. In den späten 60ern gab es also tatsächlich einen Bruch.

Sie sind Professor für Popularmusik in Ihrer Heimatstadt Münster. Was lehren Sie da?

Musikgeschichte.

Und ist das aktuelle Programm im Hörsaal ein Thema?

Ähnliches ist schon Thema gewesen. Aber es wird in Gießen keine Vorlesung, keine Angst (lacht).

Ihr Programm ist wegen Corona schon zweimal verschoben worden. Auch Sie hatten eine zweijährige Live-Pause?

2020 ist das Album erscheinen. Da sollte die Tournee mit 70 begleitenden Konzerten starten. Das ist alles abgesagt worden. Im Jahr 2021 waren dann 100 Konzerte geplant. Die sind auch alle ausgefallen. Dann wurden im Sommer kurzfristig 40 Shows aus dem Boden gestampft. In diesem Jahr haben wir mittlerweile rund 80 Konzerte gespielt, so dass wir fast schon wieder auf Normaltemperatur sind.

Die Musikbranche klagt ja in allen Bereichen über fehlendes Publikum. Haben Sie das ähnlich festgestellt?

Tja… Halbvoll ist das neue ausverkauft. Das hat verschiedene Gründe. Was in den zweieinhalb Jahren der Pandemie weggebrochen ist, drängt jetzt alles gleichzeitig wieder auf den Markt. Und so fangen weite Teile der Branche an, sich zu kannibalisieren. Dazu kommt die Corona-Furcht. Für so manche ist es auch eine finanzielle Frage. Die Gründe für das der gesamten Branche fehlende Publikum sind mannigfach.

Und wie fühlt es sich trotz allem wieder an, auf der Bühne zu stehen?

Famos! Die Besucher zeigen großen Enthusiasmus. Es gibt wirklich einen Schulterschluss zwischen Künstlern und Publikum.

Götz Alsmann & Band: »Singt Lieder der Liebe« am Montag, 12. Dezember, um 20 Uhr in der Kongresshalle Gießen. Tickets gibt es ab 32,50 Euro.

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