Mit rauer Stimme und viel Gefühl

Gießen . Eine Stimme, so rau wie die von Joe Cocker - verbunden mit gefühlvollen Songs, frei von süßem Schlagerschmalz: Das macht die Faszination von Ben Zucker aus. Der 2017 ins Rampenlicht getretene Senkrechtstarter der deutschen Pop-Szene lieferte am Donnerstagabend ein Konzert ab, das allen Erwartungen seiner Fans gerecht wurde. »Jetzt erst recht« - dieser trotzige Satz und Titel seines 2021 erschienen Albums ist Programm für den 39-jährigen Sänger aus Ueckermünde, der zurzeit eine große Arena-Tour bestreitet.
Gießen stand dabei zum zweiten Mal auf dem Plan: bereits 2019 rockte er die Bühne des Schiffenbergs.
Rund 2000 Fans waren am Donnerstagabend auf den Gießener Hausberg gepilgert, um die Bühnenshow des kantig-sympathischen Sängers zu hören und ihn gleichzeitig zu feiern. Zucker und seine Band lieferten eine tolles Bühnenprogramm ab, das keine Wünsche offen ließ. Gut gelaunt präsentierte er die bekanntesten Stücke aus seinen bislang drei Alben, mit einem kleinen Abstecher in Richtung Partysongs seiner Kollegen. Ben Zucker, das zeigte sich bei diesem Auftritt überdeutlich, beherrscht die Gute-Laune-Klänge, aber auch weitaus mehr. Seine Lieder werden hinlänglich dem deutschen Schlager zugeordnet, doch die Bandbreite des Norddeutschen ist größer. Seine musikalischen Vorbilder - die Rockbands Nirvana und Radiohead -- kann und will er nicht verleugnen. Und so vermischen sich die verschiedenen Stilelemente zu seinem typischen Zuckersound, den seine Fans lieben, gerade weil er sich nicht eindeutig in eine Genre-Schublade stecken lässt.
Zucker ist ein erstklassiger Rocker, der mit opulenten Beats und harten Bässen arbeitet, die bewusst in einem Spannungsfeld zu seinen gefühlvollen Liedtexten stehen. Mal trotzig, mal sehnsüchtig, mal melancholisch oder auch romantisch: Seine Texte drehen sich meistens um Beziehungen, die - je nachdem - mal gut oder auch mal schlecht ausgehen. Sie bauen dabei auf persönliche Erfahrungen und Stimmungen auf. So verarbeitet er die Trennung von seiner langjährigen Freundin in dem Lied »Ich weine nicht um dich«. Doch er ist keiner, der rückwärtsgewandt auftritt. So bezeichnete sich der 39-Jährige selbst augenzwinkernd als »inkompatibler Beziehungspartner«. Offizieller Status in den sozialen Medien: Single. Da halfen auch Kuppelversuche auf offener Bühne erst einmal nichts.
Zwischen den Powersongs schwang er sich in Gießen mitten ins Getümmel, um die Nähe und die »Good Vibrations« mit seinen Fans zu teilen. Er ist ein Star zum Anfassen, der sich auch gern auf die Bühnenkante setzt, um mit den Zuschauern zu plaudern, bevor er den nächsten Knaller-Song hinlegt, begleitet von einer exzellenten Band.
Vorab gab die Gießener Band Lebendig einen coolen pop-rockigen Einstieg in den Abend. Frontmann Patrick Keil hatte ein besonderes Schmankerl im Gepäck: Sein Sohn Ole unterstütze die Band bei einem Song mit munter vorgetragenen Rap-Zeilen. Die Band, die 2015 gegründet wurde, ist in Gießen und Umgebung längst keine Unbekannte mehr. Begann sie zunächst mit gecoverten Songs, punktete sie in jüngster Zeit auch mit eigenen Liedern. Am Donnerstagabend konnte die Band ihr jüngstes Album »Nicht allein« präsentieren und es mit rockigen Tönen auf Betriebstemperatur bringen, bevor Ben Zucker die Bühne stürmte.