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Mozart-Werk wird zur TV-Seifenoper

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Von: Thomas Schmitz-Albohn

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Eine Studie über menschliches und politisches Scheitern: das Gießener Ensemble von »La clemenza di Tito«. Foto: Christian Schuller © Christian Schuller

Opernregisseurin Helena Röhr hat sich bei ihrer »Tito«-Inszenierung von »Dallas« inspirieren lassen. Die Premiere ist am Freitag im Großen Haus zu sehen.

Gießen (tsa). Das antike Rom wird zu Dallas - und zwar zu jenem Dallas der legendären Fernsehserie. Das kündigte die schwedische Regisseurin Helena Röhr an, die Wolfgang Amadeus Mozarts Oper »La clemenza di Tito« im Stadttheater auf die Bühne bringt. In ihrer Inszenierung tritt der Fiesling JR Ewing jedoch nicht auf. Sie habe keine Figuren eins zu eins übernommen, sondern sich im Beziehungsgeflecht der Charaktere und im äußeren Erscheinungsbild von »Dallas« inspirieren lassen, sagte sie im Probengespräch. Premiere ist am Freitag, 19. Mai, um 19.30 Uhr. Die musikalische Leitung liegt in den Händen des Ersten Kapellmeisters und GMD-Stellvertreters Vladimir Yaskorski.

Machtgier, Liebe, Rache und Todesangst sind die treibenden Kräfte in Mozarts Opera seria: Titus, der den Kaiserthron von seinem Vater übernommen hat, sieht sich im Zentrum von Verschwörung und Verrat. Das Kapitol steht in Flammen, und sein bester Freund Sextus hat einen Mordanschlag auf ihn verübt, noch dazu gedrängt von Titus’ eigener Braut. Titus begnadigt sie schließlich alle, denn es gehört zu seinem Selbstbild, Großmut zu zeigen: »Will mich die Welt eines Fehlers beschuldigen, so bezichtige sie mich des Mitleids, nicht der Strenge.«

Pietro Metastasio schuf sein Libretto, das den aufgeklärten Absolutismus und das Bild des gerechten Herrschers idealisiert, bereits 1734. Es wurde zur Grundlage von etwa 50 Opern. Als sich Mozart zwei Jahre nach der Französischen Revolution diesem Stoff zuwandte, parallel zur »Zauberflöte«, hatten sich nicht nur der musikalische Geschmack, sondern auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen geändert - aus dem einstigen politischen Lehrstück wurde eine Studie über das menschliche und politische Scheitern mit ergreifender Musik und glanzvollen Arien. In Gießen war »La clemenza di Tito« zuletzt 2015 in einer konzertanten Aufführung zu erleben.

Die in ihrer schwedischen Heimat erfolgreiche und beliebte Regisseurin Helena Röhr holt den antiken Stoff bei ihrem Deutschland-Debüt mit reichlich Western-Country-Flair in unsere Medien- und Fernsehwelt. Das menschliche Mit- und Gegeneinander der Oper erinnerte sie an die TV-Soap, in der alle familiär miteinander verbandelt sind und die Zuschauer zu Zeugen werden, wie sich die Figuren in kleinliche Machtkämpfe verstricken. Das Private wird politisch - und umgekehrt, und der nächste Drink steht stets bereit. In ihrer Lesart des Stoffs mischt Röhr eine psychologisch-realistische Figurenzeichnung mit surrealen Elementen. Die Kostüme von Åsa Gjerstad orientieren sich an den 1980er Jahren und verhelfen zum Beispiel dem guten alten Jackett mit Schulterpolster zu einer Renaissance.

Das als Huldigungsoper konzipierte Werk sei ein perfektes Ensemblestück, so Operndirektorin Ann-Christine Mecke. Daher steht das gesamte Gießener Musiktheater-Ensemble auf der Bühne. Als Gäste sind der Tenor Markus Francke vom Theater Ulm als Tito und die Mezzosopranistin Annika Westlund als Annio zu erleben. Für eine stilsichere Orientierung an der Aufführungspraxis von 1791 sorgen auch ungewöhnliche und seltene Instrumente wie ein Bassetthorn (gespielt von Thomas Orthaber) oder eine Bassettklarinette (Tristan Roche), die eine große Terz tiefer reicht als die heute gebräuchlichen Instrumente, so dass die große Arie »Parto, parto« so zu hören sein wird, wie Mozart sie komponierte. Vladimir Yaskorski dirigiert den »Tito« zum ersten Mal. In der Musik gebe es alle Facetten, sagte er. Besonders reizvoll sei es, dass die barocke Färbung von Mozart immer wieder aufgebrochen werde.

Premiere am 19. Mai um 19.30 Uhr im Großen Haus, weitere Vorstellungen am 3., 8., 22. und 24. Juni, 1. Juli jeweils um 19.30 Uhr sowie am 11. Juni um 16 Uhr.

Mozart-Oper trifft auf Toiletten-Performance: Exklusive Einblicke in zwei höchst unterschiedliche Theaterproduktionen gibt es beim nächsten »Premierencocktail« am heutigen Dienstag im Kleinen Haus des Stadttheaters. Der Eintritt ist frei.

Wie immer haben die Produktionsteams Getränke mit Bezug auf ihre Stücke vorbereitet, von denen es auch alkoholfreie Varianten gibt. Mit »Mozarts »La clemenza di Tito« stellen Bariton Tomi Wendt, Pianist Evgeni Ganev mit Dramaturgin Ann-Christine Mecke die letzte Opernpremiere der Spielzeit vor. Dazu gibt es auch musikalische Kostproben.

Außerdem werden Mitglieder des Performance-Kollektivs Hysterisches Globusgefühl erklären, warum und wie sie den Griff ins Klo wagen, wenn sie mit ihrer Performance »Für Erleichterung« den Kirchenplatz in ein skurriles Toilettenparadies verwandeln und die öffentliche Toilette als konkretes Objekt, aber auch als politisches Symbol lustvoll hinterfragen. Die Premiere findet am Samstag, 20. Mai , um 20.15 Uhr auf dem Kirchenplatz statt. (red)

Gießen (red). Ein seltenes Erlebnis hatten die 50 Mitglieder des Theatervereins, als sie eine szenische Probe zur Mozartoper »La clemenza di Tito« auf der Probebühne in der Bahnhofstraße besuchten. Zu sehen bekamen die Gäste mehrmals die Anfangsszenen mit Julia Araújo, Jana Markovic, Annika Westlund, dem Chor und Tomi Wendt (Publio), die von Kapellmeister Wolfgang Wels am Klavier (Orchesterersatz) begleitet wurden.

Unterbrochen wurden die Szenen durch Regisseurin Helena Röhr mit detaillierten Hinweisen und Ergänzungen zum Ablauf und zu Verhaltensweisen (Mimik und Gestik), um die Personen in ihren zwiespältigen Gefühlen erkennbar zu charakterisieren. Als bemerkenswert empfanden es die Besucher, »in welch ruhiger Art und Weise die Spielleiterin und die Darstellerinnen gemeinsam die szenischen Möglichkeiten überwiegend auf Englisch besprachen und probierten«. Ebenso gab Dirigent Vladimir Yaskorski den Sängerinnen Tipps zur Intonation, damit Musikalität und Darstellungsweise passend sind. »Auch wenn bei einer Probe die Sängerinnen und Sänger nicht ›in die Vollen‹ gehen, war doch eindrucksvoll, mit welcher Intensität und Präzision die Musik Mozarts erarbeitet wurde«, resümierten die Besucher des Theatervereins.

Musikdramaturgin Dr. Ann-Christine Mecke erläuterte im Nachgespräch, dass in der Regel täglich (außer Samstag) zweimal vier Stunden geprobt werde, dass sie selbst die deutschen Übertitel mit Personenangabe herstellt und dass es neben dem »Programmzettel« zu jeder Produktion digital noch Zusatzmaterialien gibt.

Die Vorsitzende bedankte sich bei allen Mitwirkenden des Stadttheaters und kündigte weitere Treffen an: am 22. Mai zum neuen Spielplan und am 23. Juni zur Bilanz der Spielzeit 2022/23.

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