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Mundart bedeutet Heimat und Identität

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Mundart ist seine Passion: Karl-Heinz Theiß hat seine umfangreiche Sammlung an Schriften und Büchern der Stadtbibliothek geschenkt. Foto: Czernek © Czernek

Karl-Heinz Theiß verdeutlicht in seinem vergnüglichen Vortrag in der Gießener Stadtbibliothek, dass »Dialekt mehr ist als schwätzen«.

Gießen. Das Holzschild am Vortragstisch sagt schon alles: »Dialäggd eas mieh wäi schwädsea«. Übersetzt: «Dialekt ist mehr als schwätzen«. Unter diesem Motto hatte die Stadtbibliothek zu einem vergnüglichen Austausch mit Karl-Heinz Theiß eingeladen. Für den bekennenden Oberhessen bedeutet Mundart Heimat. Zuhause spricht er konsequent »platt«. Darüber hinaus hat er im Laufe der Jahre eine beachtliche Sammlung an Büchern und Heftchen zusammengetragen. Da er sich selbst räumlich etwas verkleinert hat, spendete er mehr als 154 Exemplare der Stadtbibliothek.

Viele davon sind einzigartig, denn Bücher mit Geschichten und Redewendungen in Mundart sind nicht oft verlegt worden - und meistens nur in kleiner Auflage. »Diese Bücher findet man nicht in Antiquariaten. Ich habe sie mitunter auf Flohmärkten erworben. Die Verkäufer wussten häufig gar nicht, welche Schätze sie da für einen Spottpreis abgaben«, sagte er stolz bei der offiziellen Übergabe im Rathaus. Wenn sie schon längst katalogisiert und in Regel unter dem Begriff »Heimatkunde« einsortiert sind.

»Wir sind Herrn Theiß unglaublich dankbar. Es sind wirklich echte Schätze dabei und wir werden uns bemühen, diese Sammlung fortzuführen«, versprach Bibliotheksleiter Guido Leyener-Rupp. Gerade weil diese Stücke so selten sind, sei es eine große Freude, diese in den Bestand der Heimatliteratur einzugliedern. Und natürlich hoffe er auf eine rege Nutzung.

Hochdeutsch als erste Fremdsprache

»Da sie so wertvoll sind, ist eine Ausleihe jedoch nicht möglich. Es wäre zu schade, wenn eines davon verloren ginge, man könnte sie nicht wiederbeschaffen«, schränkt Leyener-Rupp ein. Allerdings kann in der Bibliothek damit gearbeitet und es können auch Kopien erstellt werden. Karl-Heinz Theiß gestaltete den Abend mit vielen kleinen lustigen Geschichten, Witzen und Anekdoten, die er locker und wie selbstverständlich in seinem Dialekt vortrug. Hochdeutsch sei für ihn nämlich die erste Fremdsprache. Flankiert wurden die Erzählungen mit wertvollen Informationen zum Begriff »Mundart«. So berichtete der passionierte Oberhesse, dass das Hochdeutsche erst durch die preußische Vorherrschaft eingeführt worden sei. Zudem habe Martin Luther die Bibel nicht ins Hochdeutsche, sondern in die sächsische Kanzleisprache übertragen. Grundsätzlich unterliege die Sprache ständigen Veränderungen. Beispielsweise hätten viele französische Wörter durch Napoleon und seine Besatzungstruppen ihren Weg in die Hochsprache und letztlich in den Dialekt gefunden; dasgleiche gelte für englische und jüdische Ausdrücke. Dass es unendlich viele verschiedene Dialekte gebe, zeige sich bereits daran, dass in manchen Dörfern, die nur wenige Kilometer auseinander liegen, Ausdrücke stark voneinander abweichen können.

Eine Besonderheit innerhalb der Mundart stelle die Ganoven- und Handwerkersprache dar. »Das waren ganz spezielle Dialekte, die bewusst von Handwerkern und dem fahrenden Volk gesprochen wurden, damit die Auftraggeber und die anderen Leute außerhalb der Gemeinschaft sie nicht verstanden.«

Für Theiß drückt sich in der Mundart auch die eigene Identität aus. »Es ist doch unglaublich schön, wenn man irgendwo im Urlaub auf einmal einen vertrauten Zungenschlag hört«, so der Experte. Auch sein Sohn, der schon lange im Rheinland lebt, verfalle sofort in seinen heimatlichen Dialekt, sobald er zu Hause die Tür aufmacht.

Therapeutische Wirkung

Viele Jahre war Theiß mit seinen Lesungen in Seniorenheimen unterwegs. Dort seien die Zuhörerinnen und Zuhörer meist sehr dankbar gewesen. «Demenzkranke wurden auf einmal wieder hellwach, weil sie alles verstanden. Insofern ist Mundart auch Therapie.« In einer globalisierten Welt sei der Dialekt jedenfalls als identitätsstiftendes Element nicht wegzudenken. Daher plädierte er dafür, der Mundart in der Schule ebenfalls mehr Platz einzuräumen. In Mecklenburg-Vorpommern und Bayern werde zum Beispiel mehr Wert auf deren Erhalt gelegt.

Da die Reihe »Literaturdurst trifft auf Reiselust« heißt, durfte übrigens das oberhessische Nationalgetränk, Äppler und Apfelsaft, nicht fehlen.

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