Nach dem Ultimatum die Blockade

Aktivisten besetzten eine Ampel in Gießen und lösten einen Polizeigroßeinsatz aus. Weitere Aktionen sind bereits angekündigt
Gießen . Verwunderung aber auch viel Empörung löste eine Protestaktion von Verkehrswendeaktivisten gestern auf dem Anlagenring aus. Gegen elf Uhr kletterten zwei von ihnen auf eine Ampelbrücke an der Kreuzung Südanlage/Bleichstraße gegenüber dem Parkhaus und dekorierten die Beschilderung mit Plakaten um, auf denen unter anderem die Schaffung von Fahrradspuren auf dem Anlagenring gefordert wurde.
Auch im banachbarten Parkhaus hingen große Transparente, die unter anderem dessen Umbau zu einer »attraktiven Wohnanalage am verkehrsberuhigten Anlagenring« ankündigten. Eine weitere Aktivistin hatte sich zudem an einem Betonklotz an einer Zufahrt zum Parkhaus angekettet.
Dass bereits wenige Minuten später der Verkehr unter der der Ampelbrücke gestoppt wurde, war Zufall. Feuerwehrleuet, die gerade von einem Einsatz kamen, sahen die Demonstranten in sechs Metern Höhe und stoppten spontan den Verkehr Richtung Elefantenklo. Zu den Feuerwehrleuten gesellten sich in den drei Stunden noch zahlreiche Mitarbeiter des Ordnungsamtes, der Polizei und am Ende sogar ein Höheninterventionsteam der Polizei aus Kassel. Laut Polizeipressesprecher Jörg Reinemer war eine mittlere zweistellige Zahl von Kräften im Einsatz.
Die Autofahrer, deren Fahrzeuge sich schnell Richtung Rathaus zurückstauten, quittierten die unverhoffte Fahrtunterbrechung mit einem Hupkonzert. Mit dem Eintreffen der Polizei wurde der Verkehr weiträumig umgeleitet und der Stau über die Goethe- und Johannes-Straße aufgelöst.
Rock am Ring
Weil eine der Hauptschlagadern des Gießener Straßenverkehrs bis auf Weiteres in Richtung E-Klo lahmgelegt war, erlaubte die Polizei den rund 20 Unterstützern der Proteste die Straße als Demonstrationsbühne zu nutzen. Die schrieben denn auch in den folgenden Stunden Slogans mit Kreide auf die Fahrbahn, drehten unter der Ampelbrücke mit Fahrrädern ihre Runden oder tanzten zwischen den Spurrillen im Asphalt zu Lobliedern aufs Radfahren der »Prinzen« und anderer Rockbands.
Während die Polizei die »dynamische Lage« vor Ort gelassen kontrollierte und auf die Kletterspezialisten aus Kassel warteten, blickten die wenigen Passanten eher ungnädig auf das Spektakel.
»Ich finde das nicht in Ordnung«, meinte eine Schülerin der 10. Klasse der Willy-Brandt-Schule die mit drei Klassenkameraden vergebens auf den Bus Richtung Buseck wartete. »Das sind doch Vollidioten«, ergänzte ein Mitschüler, der sich wie die anderen drei weniger auf eine Verkehrswende, sondern mehr auf den Führerschein freute, »denn dann bin ich schneller unterwegs und das ist auch nicht so gefährlich wie Fahrradfahren«.
»Meine Mutter traut sich schon längst nicht mehr, in Gießen Fahrrad zu fahren«, sagte dagegen eine Demonstrantin zu einem schimpfenden Passanten. Aber auch Radfahrer, die die ungewohnte Ruhe auf dem Anlagenring bestaunten, waren eher skeptisch, ob solche Aktionen einer anderen Verkehrspolitik eher nutzen oder schaden. »Wenn man in Gießen Rad fährt, muss man doch nicht über den Anlagenring«, meinte etwa ein 60-jähriger Stadtbediensteter, »es gibt genug Parallelstraßen, die viel sicherer sind.«
Zwei Festnahmen
Umweltaktivist Jörg Bergstedt, der kurz zuvor der Stadtpolitik ein Ultimatum der Verkehrswendeaktivisten zur überfälligen Umsetzung der vom Stadtparlament beschlossenen Radspuren auf dem Anlagenring gestellt hatte (der Anzeiger berichtete), kündigte derweil weitere Aktionen der Aktivisten an. Bis zum 14. Mai werde man Druck machen, sollte die Politik nicht endlich ihren Worten Taten folgen lassen und ihre eigenen Beschlüsse umsetzen.
Noch vor dem 14.5. nämlich symbolträchtig um 14.05 kletterten die beiden Aktivisten freiwillig von der Ampelanlage. Das inzwischen eingetroffene halbe Dutzend vermummter SEK-Spezialisten musste nicht mehr eingreifen, und kletterte auch nicht mehr auf die Signalbrücke, an der noch immer Aufkleber und Transparente hingen. Die musste die Gießener Feuerwehr entfernen.
Die beiden Festgenommenen wurden nach der erkennungsdienstlichen Behandlung wieder freigelassen. Allerdings werde man gegen sie ein Verfahren wegen Nötigung einleiten und auch prüfen, ob man ihnen die nicht unerheblichen Kosten für den Polizeieinsatz in Rechnung stelle, betonte Polizeipressesprecher Reinemer.

